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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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welches zusammen mit seiner Adoptivmutter ausgerechnet an jenem Tag verschwand, da Vinzent Olander in ein Spital eingeliefert wurde, um dann später bei seinem Erwachen zu erklären, seine Tochter sei aus dem verunfallten Taxi heraus entführt worden.
    »Ich habe von diesem Professor Kasos schon mal gehört«, sagte Longhi. »Er ist doch der, der eine eigene Sprache entwickelt hat, nicht wahr?«
    »Die Sprache der Windeworps.«
    »Ach ja. Ich hatte aber keine Ahnung, daß ihm seine Frau davongelaufen ist.«
    Für einen Polizisten wie Longhi stellte es nicht das geringste Problem dar, etwas nicht zu wissen. Er war erfolgreich, aber nicht ehrgeizig. Und in keiner Weise hektisch. Die neuen Erkenntnisse stachelten ihn wenig an, sich eingehend mit dem Fall zu beschäftigen. Zumindest nicht, bevor Andrea Peros skelettierter Körper in Mailand angekommen war. Für ihn gab es nichts, was jetzt eilte.
    Anders Lukastik. Er wollte sich beeilen. Und sei es auch nur, um so bald als möglich dem italienischen Licht zu entkommen. Vorher aber mußte er sich die Wohnung des zu Tode gekommenen Taxifahrers ansehen.
    »Was hoffen Sie dort zu finden?« fragte Longhi.
    »Eine zweite Giraffe«, antwortete Lukastik.
    »Na, von mir aus«, meinte Longhi, ohne eine Erklärung zu verlangen, »Sie werden schon wissen, was Sie tun. Ich schicke Ihnen am Nachmittag die zwei Kollegen, die Sie bereits kennen.«
    Lukastik dankte und erhob sich. Ihm fiel auf, daß Longhi diesmal sein gekochtes Ei gegessen hatte. Ein wenig enttäuschte ihn dieser Umstand, welcher Longhi als einen gewöhnlichen Mann erscheinen ließ. Auch nur ein Eierdieb wie alle anderen. Kein Magier. Kein Hexenmeister, der aus dem Dotter die Zukunft las. Und hernach das Ei wieder schloß.
    Es war übrigens kein Scherz gewesen, wenn Lukastik erklärt hatte, in Giorgio Straubs Wohnung nach einer zweiten Giraffe zu suchen. Denn er wußte ja aus Job Grongs detaillierter Erzählung, daß Olander eine kleine, leicht beschädigte Tierfigur von dort hatte mitgehen lassen. Und auch wenn nun das meiste, was Olander dem Kneipenwirt des POW! berichtet hatte, in einer metaphernartigen oder verschlüsselten Weise zu verstehen war, konnte man dennoch davon ausgehen, daß so etwas wie eine Giraffe in dieser Wohnung gestanden hatte. Und daß diesem Etwas eine Bedeutung zukam. Ansonsten hätte Olander nicht davon berichtet. Denn der Mann war schließlich verrückt. Verrückte taten nie etwas ohne Sinn. Während gesunde Menschen andauernd etwas unternahmen, was ohne Sinn blieb. Das war das Privileg der Gesunden, etwa einen Satz zu sagen, der nichts bedeutet.
    Straubs Neffe, ein etwas derangiert anmutender Student, öffnete. Der junge Mann schien seit seinem Einzug kaum etwas verändert zu haben. Die kleine, vollgeräumte, von Gleichgültigkeit gekennzeichnete Wohnung wirkte weniger als das Resultat schlechten Geschmacks, denn puren Zufalls. Giorgio Straub hatte wohl zu jenen Menschen gehört, die es vorziehen, den nächstbesten Sessel und den nächstbesten Tisch zu kaufen. Weil sie meinen, ein Tisch und ein Sessel sei wie der andere. So, wie sie auch meinen, ein Bild und ein Buch sei wie das andere.
    Es war jetzt am Nachmittag ausgesprochen dunkel in den Räumen, obwohl ungebrochen die Sonne schien. Man konnte meinen, daß sich hier drinnen die Nacht versteckt hielt und darauf wartete, bis draußen die Luft rein sein würde. Lukastik bewegte sich langsam vom Wohn- ins Schlafzimmer und wieder zurück. Er faßte nichts an, betrachtete bloß die Einrichtung, sah auf die Laden und Türen der Schränke. Lukastik war der Meinung, daß wenn etwas zu entdecken war, es sich dem Betrachter offenbarte. Man sah es einem Schrank an, wenn eine wichtige Sache sich in ihm verbarg. Diese Schränke hier, davon war Lukastik überzeugt, verbargen nichts außer alter Wäsche und ein paar Dingen aus dem Besitz des Studenten. Auch war nirgends eine zweite Giraffe zu entdecken. Allerdings ein schmales, längliches, an die Wand gerücktes Tischchen, auf dem dick der Staub lag, wie auch auf den Gegenständen, die auf der gläsernen Platte sorgsam aufgereiht standen. Nur an einer Stelle zeichnete sich ein fehlendes Objekt ab, erstens dadurch, daß eine deutliche Lücke in der sonst geschlossenen Formation von Figuren klaffte, und zweitens, indem besagter Flecken eine deutlich geringere, wenngleich ebenfalls beachtliche Staubdichte aufwies. Staub, der sich in den vier Jahren gebildet hatte, seit Olander hier gewesen war, um eins

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