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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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es hier ein wenig lauter und wärmer war. Am Ende dieses Raums durchschritt Lukastik erneut eine selbständig sich weitende Türe, allerdings kleiner und aus Glas. So fand er sich wieder in einem langgestreckten, fensterlosen Gang, in dem alles, das Licht, der Spannteppich, die weißen Wände, selbst die warme Luft etwas Niveaartiges besaß und man sich wie in einer Tube oder Dose eingesperrt fühlte. Nivea!? Offensichtlich war Lukastik in den Bürobereich gelangt.
    An den Wänden rechts und links hingen kleine Plexiglasvitrinen, in denen je eine ausgewählte Plastikfigur aus der Hiltroffer Produktion ausgestellt war. Figuren, die dank solcher Präsentation einen sehr edlen, einen künstlerischen und musealen Eindruck vermittelten. Natürlich war eine Madonna darunter, auch ein Affe, der ein Ei betrachtete. Im übrigen sah man eine bekannte Disneyfigur, weiters ein kleines Männchen, das trotz seiner Winzigkeit unverkennbar die Züge und die Gestalt eines ehemaligen russischen Präsidenten aufwies, Zwerge mit Laserschwertern, ein wolfloses Rotkäppchen und…
    Lukastik führte sein Gesicht ganz nahe an eine Scheibe heran. Was er nun erkannte, war eine Art Seeschlange beziehungsweise ein Seeschlangenkostüm, unter welchem die unverkennbaren Füße eines Affen hervorlugten. Die ganze Gestalt verwies in ihrer dramatisch verspielten Verschlungenheit auf eine Laokoongruppe. Und tatsächlich existiert ja ein berühmter Affenlaokoon von Tizian. Dann war dies hier quasi ein Affenlaokoon für nur einen Affen und nur eine Seeschlange, im Unterschied zu den zwei Seeschlangen aus der Antike. Zudem handelte es sich um eine Symbiose von Täter und Opfer, indem der Affe die Schlange verkörperte, die ihn tötete.
    In jedem Fall war es eine schön gestaltete Figur, die Lukastik an jene historische Graphik aus einem Linzer Archiv erinnerte, welche das Monster aus dem Mariensee darstellte (und ein bißchen erinnerte es ihn auch an das von jugendlichen Hiltroffern geschossene Foto). Vor allem aber dachte er an den Affen in seiner eigenen Tasche. Es war deutlich zu sehen, daß die beiden Figuren aus der gleichen Produktion stammten, daß sie Teil einer Serie maskierter Affen waren. Und daß somit der Leiter der Fabrik gelogen hatte. Ja, daß alle hier logen, was natürlich nichts Neues war, diese permanente Lügerei, die nicht allein die Not gebar, sondern ein Prinzip repräsentierte. Die Menschen logen in derselben Weise, wie sie atmeten und schwitzten. Wenn sie die Wahrheit sagten, dann war das so, als würden sie die Luft anhalten. Dennoch war Lukastik verärgert. Er fragte sich, wie er diese ganze Bagage zur Räson bringen konnte. Ob er nicht noch viel stärker den Exekutor aus der Bundeshauptstadt zum besten geben, die Leute zum Verhör holen und ihnen angst machen sollte.
    Aber er entschied sich dagegen. Wahrscheinlich konnte er diese Leute besser einschüchtern, indem er ihnen nicht direkt drohte. Immerhin hatte er es mit sturen Bauernschädeln zu tun– Bauern ohne Höfe, Bauern ohne Kühe, Plastiktierbauern.
    Während er über diese Dinge nachdachte, öffnete sich ganz hinten im Gang eine Türe, und eine Frau mit einem Staubsauger trat drei Schritte auf eine gegenüberliegende Türe zu, öffnete sie und verschwand so rasch, wie sie aufgetaucht war. Nicht in Eile, das nicht.
    Es war eine Frau mit wasserstoffblonden Haaren und einem dunkelblauen Arbeitskittel gewesen, eine typische Putzfrauenerscheinung, geisterhaft. Es sieht immer aus, als würden diese Frauen schweben. Kaum blickt man nochmals auf, sind sie schon beim nächsten Tisch, beim nächsten Fenster, hört man sie nur noch aus dem Nebenzimmer, wie jetzt auch, als der Motor des Staubsaugers in Betrieb gesetzt wurde und durch die geschlossene Türe ein Geräusch drang, als wären neun Opernsänger – vier Tenöre und fünf Countertenöre – stimmlich wie körperlich in der Art einer Mannerschnitte aneinandergepreßt.
    Bei diesen Putzfrauen stellte sich die Frage, ob sie tatsächlich auf die Welt gekommen waren, um den Dreck anderer Leute zu entfernen. Wenn das nämlich der Fall war, und das schien es ja, mußte irgendein teuflischer Plan dahinterstecken. Das konnte kein Zufall sein. Das war, als würde man jemand engagieren, der an eigener Statt die Nahrung aufnimmt, sie kaut, sie verdaut, sodann eine fremde Notdurft verrichtet, der also nicht nur für einen das Klo putzt, sondern auch für einen dieses Klo benutzt, der vertretungsweise dicker oder dünner wird,

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