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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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der Gebilde aus der Ansammlung zu nehmen. Keine Giraffe, eher einen Affen. Denn Affen stellten sämtliche Figuren dar, die hier plaziert waren. Affen, die menschliche Handlungen vollzogen oder kopierten, in einem Buch lasen, mit weggestrecktem kleinen Finger aus einer Tasse tranken, sich das Kopfhaar kämmten, ein Deo unter die Achsel hielten, Schlittschuh liefen. Es handelte sich um etwa sieben Zentimeter große Figuren aus bemaltem Plastik, das sich ausgesprochen weich anfühlte, ein wenig wie morsches Holz. Billige Spielfiguren, konnte man meinen, in großen Massen hergestellt, aber sicher nicht für Kinder. Einer der Affen onanierte, ein anderer hielt sich eine Pistole an die Stirn, ein dritter rauchte. Und wenn man letzteres bedachte, mußte man sagen: Viel schlimmer geht es eigentlich nicht mehr.
    »Fragen Sie unseren jungen Freund«, sprach Lukastik seinen Übersetzer an und zeigte gleichzeitig auf die Lücke, »ob er weiß, was für eine Figur hier gestanden hat.«
    Aber Straubs Neffe hatte keine Ahnung. Er wirkte überhaupt ein wenig zurückgeblieben. Ein talentierter Physiker, was Lukastik nicht wissen konnte. Jedenfalls war er keine Hilfe.
    »Ich will die Schwester sprechen«, sagte Lukastik. »Die Schwester von Giorgio Straub.«
    Er bekam, was er wollte. Eine halbe Stunde später wackelte eine Frau ins Zimmer, deren Mund vom vielen Keifen völlig aus der Form war. Sie war sichtbar wütend, denn eins war ihr klar, sie würde kein Geld dafür bekommen, irgend etwas auszusagen. Sie betrachtete Lukastik mit Verachtung. Sie fragte sich, was sich dieser Polizist eigentlich einbildete.
    Lukastik blieb ungerührt, wies auf den kleinen leeren Flekken, gewissermaßen auf die unsichtbar in der Luft stehende Form und stellte seine Frage. Der Übersetzer übersetzte.
    Die Frau trat näher an die Stelle heran, verzog Lippen, die eigentlich kaum noch zu verziehen waren, und kniff die Augen zusammen.
    »Una Giraffa«, drang es dunkel aus ihrem abgründigen Mund.
    »Was denn?« Lukastik zeigte sich verwundert. Immerhin handle es sich hier um eine Ansammlung von Affen. Was habe da eine Giraffe verloren gehabt.
    Die Frau entließ einen heftigen Schwall rasch gesprochener Worte, dann drehte sie sich um, nahm ihren Sohn an der Hand und trat hinaus auf den kleinen Balkon. Man hörte weiter ihre Stimme, immer neue Kreise sägend, Vorwurf an Vorwurf reihend. Wahrscheinlich hielt sie ihrem Sohn eine Strafpredigt, weil er die verdammte Polizei in die Wohnung gelassen hatte.
    Währenddessen war der Übersetzer näher an Lukastik herangetreten, um ihm zu erklären, daß es sich nach Auskunft der Frau bei der fehlenden Figur ebenfalls um einen Affen gehandelt habe. Nur daß dieser Affe bloß noch mit den Füßen als solcher zu erkennen gewesen war. Der restliche Körper aber hätte in einem Giraffenkostüm gesteckt. Ein verkleideter Affe also.
    Lukastik fragte den Übersetzer, ob er solche Figuren schon einmal gesehen habe. Dieser verneinte, hob aber eins der Dinger vom Tisch, den mit Abstand Unschuldigsten, einen Affen mit Handy am Ohr, drehte ihn um und betrachtete den Aufdruck auf der Unterseite des flachen Sockels.
    »Colanino«, las Longhis Mann und erklärte, daß ihm dieser Name durchaus ein Begriff sei. Bei der Gruppo Colanino handle es sich um einen Konzern, der so ziemlich alles herstelle. Von Autoersatzteilen bis zu Fertigteilhäusern. Offensichtlich auch Trashnippes wie diese perversen kleinen Figuren. Dann hielt er Lukastik den Aufdruck entgegen und meinte, das könnte interessant sein. Und das war es in der Tat. Denn dort, wo üblicherweise Made in Chin a oder Made in Portugal stand, war nun zu lesen: Made in Austria .
    Es dauerte keine zwei Stunden, da bekam Lukastik bestätigt, was er in dem Moment, da ihm die »Insignien« seines Heimatlandes ins Auge gestochen waren, bereits geahnt hatte. Das Unternehmen Colanino ließ seine Plastikfiguren in Hiltroff produzieren. Das war kein Geheimnis, allerdings auch nichts, was der Mailänder Konzern an die große Glocke hängte. Schließlich handelte es sich beim Großteil der Produktion um billigen Ramsch, der zumeist als Sammelspielzeug in durchsichtigen Beutelchen angeboten wurde. Spidermanfiguren, Schlangenmenschen, aufziehbare Robotermännchen, futuristische Saurier, solche Dinge eben, Firlefanz, der die Welt überflutete. Aber wie gesagt, normalerweise von China aus. Und nicht von einem kleinen, nebeligen Ort in Mitteleuropa.
    Das mit den Affen war allerdings eine

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