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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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mitzureden gehabt. Zwei Schornsteine – ein kunsthistorisch relevanter und ein zeitgenössisch aktiver – ragten in den vernebelten Himmel. Im Hof wartete bereits das Empfangskomitee, der Fabrikleiter, dessen Prokurist und eine Dame aus dem Büro des Bürgermeisters, eine übertrieben elegante Erscheinung, mit einem sehr roten Mund, durch den die Wörter wie tausenderlei silberne Löffelchen drangen. Woraus sich ein hochgestochener Ton ergab, ein quasi edelgastronomischer Klang.
    »Was tun Sie hier?« fragte Lukastik die Dame. Er hatte sich noch nie von Silberbesteck beeindrucken lassen.
    »Der Bürgermeister schickt mich.«
    »Und warum tut er das?«
    »Wir wollen Sie in jeder Hinsicht unterstützen, Herr Chefinspektor.«
    »Ach nein!?« Lukastik hätte die Madame gerne zum Kaffeeholen und Bleistiftspitzen abkommandiert. Aber er begnügte sich damit, ihre Anwesenheit mit einer wegwerfenden Geste zur Kenntnis zu nehmen, und richtete sich in der Folge an den Fabrikdirektor, einen farblosen, wohlgenährten, ein wenig nervösen Menschen. Einen von diesen Männern, denen selbst maßgeschneiderte Anzüge nicht passen, entweder weil der Anzug sich wehrt oder der Körper sich wehrt oder Körper und Anzug sich ständig in den Haaren liegen. Ohne mich wärst du gar nichts, ohne mich… Und so weiter.
    Lukastik bat darum, durch den Betrieb geführt zu werden.
    »Gerne«, sagte der Werksleiter, erkundigte sich aber, worin genau das Anliegen des Herrn Chefinspektors eigentlich bestehe.
    »Ich nehme doch an«, äußerte Lukastik, »daß Ihre italienischen Freunde Sie vorgewarnt haben.«
    »Mir wurde gesagt…es gehe um die Figuren für die Liköreier.«
    »Ganz richtig. Ich möchte mir ansehen, wie sie hergestellt werden.«
    »Aber Sie können doch nicht glauben, daß unsere Produktion in irgendeiner Weise mit dem Leichenfund im Mariensee zu tun hat. Ich bitte Sie!«
    »Wenn zwei Fäden sich verwickeln«, dozierte Lukastik, »wird man natürlich versuchen, sie voneinander zu lösen. Mitunter aber ist es so, daß zwei Fäden sich als einer erweisen.«
    Das gab es nämlich ebenfalls: zwei Fälle, die in Wirklichkeit einer sind.
    Der Direktor machte ein angestrengtes Gesicht und beutelte sich leicht, als schüttle er Flöhe ab. Es war zu sehen, wie unbehaglich er sich fühlte. Er ging voraus.
    Er bemühte sich nun um eine ganz normale Führung und lotste Lukastik durch die hohen, von einem Oberlicht erhellten Hallen, unterstrich die architekturhistorische Bedeutung des Äußeren wie die modernen Arbeitsbedingungen im Inneren, erklärte Maschinen, beschrieb Werkprozesse, sprach von der Kombination neuartiger Thermoplaste, von hochwertigem Polyethylen sowie von einer hier in Hiltroff entworfenen Madonnen-Serie, auf die man besonders stolz sei. Man könnte nämlich glauben, diese kleinen Heiligenfiguren seien aus altem Holz geschnitzt und mit einer originalen mittelalterlichen Bemalung versehen, während sie natürlich, wie alles hier, aus Kunststoff hergestellt wurden. Und zwar aus erstklassigem Kunststoff, wie zu betonen wäre. Denn leider würden die meisten Menschen zwar zwischen gutem und minderwertigem Holz unterscheiden, nie aber zwischen solchem und solchem Plastik. Als sei jedes Wasser trinkbar.
    Um den Charakter einer alltäglichen Werksbesichtigung noch hervorzuheben, bat der Direktor einige der Arbeitenden, ihre Arbeit zu unterbrechen und Lukastik zu erklären, was sie hier taten und wie zufrieden sie mit ihrem Job wären. Und in der Tat schien alles auf diesem Gelände mustergültig zu sein. Die Apparaturen verströmten freundlichen Maschinismus, die Luft war erstaunlich gut, und auf dem weißen Boden spiegelten sich die Gestalten der ebenfalls weiß gekleideten Menschen wie in einem dermatologischen Beratungszentrum. Ja, man konnte den Eindruck gewinnen, daß in dieser Anlage pharmazeutische Waren hergestellt wurden. Aber wahrscheinlich bestand heutzutage ohnehin kaum noch ein Unterschied zwischen miniaturisiertem Kinderspielzeug und irgendwelchen Pillen. Nicht umsonst konnte man das Wort »Pille« mit kleiner Ball übersetzen. Spielzeug für den Körper.
    »So, und hier werden unsere Ahnen fabriziert«, erklärte der Direktor, als man eine neue Halle betrat, in der vor einer langgestreckten Werkbank ein Dutzend Frauen saßen, mit weißen Kitteln und weißen Häubchen, welche mit feinen Pinseln ihre auf kleine Drehplatten aufgesteckten Plastikrohlinge bemalten.
    »Ahnen?« fragte Lukastik.
    »Wir vermeiden das Wort

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