Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Dichter und Musiker, als die Spätgeburten einer verrotteten Weltanschauungs-Methode herabblicken« und das rein naturwissenschaftliche oder historische »Erkennen« an die Stelle von »metaphysischen Allotrien« setzen wollen – bis »das rein erkennende Subjekt, auf dem Katheder sitzend, allein als Existenzberechtigt übrig bleibt. Eine würdige Erscheinung am Schlusse der Welt-Tragödie!« (GS X, 79 u. 84 f.)
Nietzsches Bayreuther Festschrift von 1876 hatte mit dem Hinweis geendet, dass Wagner »nicht der Seher einer Zukunft«, sondern »der Deuter und Verklärer einer Vergangenheit« sei (SW I, 510). Wagner, der diese Schrift so positiv aufgenommen hatte, muss es tief verletzt haben, als er nun nicht mehr missverstehen konnte, welche Rolle ihm Nietzsche in der Kulturentwicklung allein noch zugestand: nämlich Zeitgenossen und Nachkommenden die Prinzipien und das Lebensgefühl der nunmehr abgelebten Kultur verständlich zu machen. Wie hätte Wagner ein Verständnis von Kultur akzeptieren können, das ihm nur noch diese retrospektive Rolle übrigließ? Wagner sieht den Sachverhalt genau umgekehrt: Nietzsche habe sich von der tieferen Kultur verabschiedet und sei einem ›bildungsphiliströsen‹ Fortschrittsglauben anheimgefallen. (Tatsächlich hat Wagner in Publikum und Popularität Nietzsche hämisch-indirekt mit David Friedrich Strauß in einen Topf geworfen, auf den Nietzsche in der ersten seiner Unzeitgemäßen Betrachtungen den Begri ff des »Bildungsphilisters« gemünzt hatte.)
Nietzsches Kritik an Wagner wird sich im folgenden Jahrzehnt – vor allem nach dessen Tod – verschärfen, und doch ist in all dieser Kritik fast immer das Moment unverlierbarer Passion für sein Werk spürbar, und häu fi g erfüllt ihn Trauer über die verlorene Freundschaft mit Wagner und Cosima, ja diese verklärt sich in der Rückschau bisweilen zu einer schattenlosen Idylle. Ganz ohne Anteilnahme an Nietzsches Schicksal bleiben auch die Wagners nicht, wenngleich – vor allem in Cosimas mitleidigen Worten über den »armen Nietzsche«, die sich unter Anwendung der Desillusionierungspsychologie Nietzsches leicht entlarven ließen – der Deckmantel herablassenden Erbarmens deutliche Löcher aufweist. Über die verbliebenen gemeinsamen Freunde suchen Wagner und Cosima immer wieder Näheres von Nietzsche zu erfahren. Zumal Overbeck oder Malwida von Meysenbug werden zum Medium, in dem die Signale der sich abhandengekommenen Freunde wie die von Zeit zu Zeit aufblitzenden Lichtsignale eines Leuchtturms durch die Finsternis der Entfremdung dringen.
Das Jahr 1882 versetzt Nietzsche aufgrund der zweiten Bayreuther Festspiele mit der Uraufführung des Parsifal noch einmal in höchste kritische Aufregung. Obwohl er aufgrund seines Patronatsscheins Anspruch auf einen Platz im Festspielhaus hat, verzichtet er auf die Teilnahme und überlässt seinen Platz der Schwester, so schwer ihm das gefallen sein muss. Trotz seiner Ablehnung, nach Bayreuth zu fahren, studiert er den Klavierauszug des Parsifal . Sein musikalisches Urteil fällt fast uneingeschränkt negativ aus. Als er Anfang 1887 in Monte Carlo das Vorspiel zu Wagners »Weltabschiedswerk« zum ersten Mal hört, stellt er allerdings sein bisheriges Urteil zumindest in musikalischer Hinsicht geradezu auf den Kopf. In seinen Aufzeichnungen redet er von der »größte[n] Wohlthat, die mir seit langem erwiesen ist. Die Macht und Strenge des Gefühls, unbeschreiblich, ich kenne nichts, was das Christenthum so in der Tiefe nähme und so scharf zum Mitgefühl brächte. Ganz erhoben und ergri ff en – kein Maler hat einen so unbeschreiblich schwermüthigen und zärtlichen Blick gemalt wie Wagner.« (SW XII, 198 f.) Noch emphatischer der Brief an Peter Gast vom 21. Januar 1887: »hat Wagner je Etwas besser gemacht?«, fragt er da und lässt eine panegyrische Beschreibung des Wagnerschen Spätstils folgen, die gerade das rühmend hervorhebt, was er an anderem Ort verurteilt hat: die tiefe, nur an Dante gemahnende Erfassung des Christentums und insbesondere der christlich-schopenhauerschen Kardinaltugend des »Mitleidens« (SBr VIII, 12 f.).
Im siebten Kapitel seiner polemischen Schrift Der Fall Wagner , wo Nietzsche letzteren als »unsern grössten Miniaturisten « und »Melancholiker der Musik« bezeichnet – der »voll von Blicken, Zärtlichkeiten und Trostworten« sei, »die ihm Keiner vorweggenommen hat« –, heißt es abschließend und durchaus nicht verwerfend: »Wagner hatte die
Weitere Kostenlose Bücher