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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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aber drei Entwürfe erhalten haben – stellt sich als letzter, schmerzlich-desperater Versuch einer Wiederannäherung an die einstige Freundin dar. In allen drei Entwürfen wird sie »die bestverehrte Frau, die es in meinem Herzen giebt«, genannt. Mit Sicherheit hat diese Formulierung auch in der Reinschrift des Briefs gestanden.
    Nietzsche hat das Wesen der Beziehung Cosimas zu Wagner gewiss zutre ff end beschrieben: die Einheit der Liebe zu dem sterblichen Menschen Wagner und der Hingabe an das von ihm verkörperte unsterbliche »Ideal«. Er schreibt: »Sie haben Einem Ziele gelebt und ihm jedes Opfer gebracht; über den Menschen hinaus empf[anden] Sie das Ideal dieses Einen, und ihm, welches nicht stirbt, gehören Sie, gehört Ihr Name für immer […] und über die Liebe jenes Menschen hinaus erfaßten Sie das Höchste, was seine Liebe und seine Ho ff nung erdachten: Dem dienten Sie, Dem gehören Sie und Ihr Name für immerdar – dem was nicht mit einem M[enschen] stirbt, ob es schon in ihm geboren wurde.« (NW 298 ) Es ist aber gerade dieses Ideal, mit dem auch Nietzsche seinen eigenen Namen verbunden sehen möchte. Das scheint die geheime Botschaft zu sein, die er Cosima senden will.
    Nietzsche hat Cosima in den letzten Jahren seines bewussten Lebens, ja bis in den Wahnsinn hinein regelrecht mythisiert, einmal als »im Grunde die einzige Frau, die ich verehrt habe« (SBr VIII, 581), zum andern als die Ariadne des griechischen Mythos, der er ›dionysisch‹ verbunden ist. Kein größerer Gegensatz ist denkbar als zwischen dieser Mythisierung Cosimas in seinen späten Aufzeichnungen und den aus Abscheu, Verachtung und Mitleid gemischten letzten Äußerungen Cosimas über Nietzsche, namentlich in ihren Briefen aus Anlass seines Todes am 25. August 1900.
    Trotz der geradezu physischen Erschütterung Nietzsches über Wagners Tod erklingen in seinen Briefen aus dieser Zeit recht aggressive Töne. Overbeck schreibt er am 22. Februar: » Wagner war bei weitem der vollste Mensch, den ich kennen lernte, und in diesem Sinne habe ich seit sechs Jahren eine große Entbehrung gelitten. Aber es giebt etwas zwischen uns Beiden wie eine tödtliche Beleidigung; und es hätte furchtbar kommen können, wenn er noch länger gelebt haben würde.« (NW 831 f.) Einige neuere Wagner- und Nietzsche-Biographen haben aus diesem Satz die krude, durch nichts beweisbare These abgeleitet, Nietzsche habe sich durch den vertraulichen Briefwechsel Wagners mit seinem, Nietzsches, Frankfurter Arzt Otto Eiser im Oktober 1877 ›tödlich beleidigt‹ gefühlt.
    Wagner hatte in seinem Brief an Eiser vom 23. Oktober 1877 Nietzsches Krankheitssymptome als Folgen mutmaßlicher Onanie diagnostiziert. Durch eine Indiskretion erfuhr Nietzsche – wohl erst nach Wagners Tod – von dieser Korrespondenz, ohne jedoch ihr Motiv und ihren Inhalt genau in Erfahrung zu bringen. »Wagner ist reich an bösen Einfällen«, schreibt er am 21. April 1883 – also erst zwei Monate nach Wagners Tod – an Peter Gast; »aber was sagen Sie dazu, dass er Briefe darüber gewechselt hat (sogar mit meinen Ärzten) um seine Überzeugung auszudrücken, meine veränderte Denkweise sei die Folge unnatürlicher Ausschweifungen, mit Hindeutungen auf Päderastie.« (NW 833) Die letzte Bemerkung zeigt, dass Nietzsche einem falschen oder von ihm missverstandenen Gerücht aufgesessen ist. Was aber mit der tödlichen Beleidigung gemeint ist, hat er an anderer Stelle unmissverständlich erklärt: 1980 kam aus dem Nachlass von Romain Rolland ein Brief von Nietzsche an Malwida von Meysenbug ans Licht, der die erwähnten Spekulationen der Biographen außer Kraft setzt. Er ist einen Tag vor dem zitierten Brief an Overbeck (vom 22. Februar 1883) geschrieben, erklärt aber nun genau, was mit der tödlichen Beleidigung gemeint ist: »W[agner] hat mich auf eine tödtliche Weise beleidigt – ich will es Ihnen doch sagen! – sein langsames Zurückgehn und -Schleichen zum Christenthum und zur Kirche habe ich als einen persönlichen Schimpf für mich empfunden: meine ganze Jugend und ihre Richtung schien mir be fl eckt, insofern ich einem Geiste, der dieses Schrittes fähig war, gehuldigt hatte.« (NW 830 f.) In Wagners angeblichem ›Zurückschleichen‹ zum Christentum und zur – katholischen – Kirche besteht also die tödliche Beleidigung. Wiederholt berichtet er mit Hohn und Entrüstung davon, dass Wagner ihm bei der letzten Begegnung in Sorrent von den »Entzückungen« gesprochen

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