Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
unter heutigen rechtlichen und fi nanziellen Verhältnissen ein reicher Mann geworden wäre, doch in einer Zeit, in der es noch kein fest geregeltes Urheberrecht und keine gesicherten Tantiemen gab, wurde er wie so viele Künstler schlechterdings ausgebeutet. Für den so erfolgreichen Dresdener Rienzi wurde er mit 300 Talern abgefunden, sein Jahresgehalt als Hofkapellmeister lag 500 Taler unter dem des ersten Kapellmeisters Reißiger und betrug nur etwas mehr als ein Drittel des Gehalts von Wilhelmine Schröder-Devrient. Für die Berliner Einstudierung des Rienzi im Oktober 1847 wurde er überhaupt nicht bezahlt, da sie auf »Wunsch« und nicht auf »Einladung« zustande gekommen sei, u. ä. mehr.
Obwohl Wagner die Dresdener Kapellmeisterstelle recht reserviert angetreten hat, nimmt er sie doch zum Anlass der ersten seiner Reformpläne, die in den folgenden Jahrzehnten ebenso zahlreich wie erfolglos sein werden. 1846 verfasst er eine Denkschrift Die Königliche Kapelle betre ff end , 1848 einen Entwurf zur Organisation eines deutschen Nationaltheaters für das Königreich Sachsen , die von den Gipfeln großer spekulativer Ideen bis in die Täler und Niederungen von organisatorischen Detail- und Finanzierungsfragen hinabsteigen.
Inmitten notorischer Geldsorgen und obwohl er durch seine Kapellmeistertätigkeit stark in Anspruch genommen ist, ja die ständigen Reibereien mit Intendanz und Theaterpersonal – die nicht zuletzt aus seinen hoch fl iegenden Plänen zur Reorganisation des Dresdener Musik- und Theaterlebens resultieren – an seinen Nerven zerren, entstehen in den folgenden Jahren nicht nur Tannhäuser und Lohengrin , sondern eine Reihe von Werken und Bearbeitungen, die mit seiner Tätigkeit als Hofkapellmeister und Leiter des Dresdener Männergesangsvereins zusammenhängen. So führt er am 6. Juli 1843 in der Frauenkirche die von ihm komponierte »biblische Szene« Das Liebesmahl der Apostel (WWV 69) auf, wobei er 100 Instrumentalisten und 1200 Sänger durch die Kirche verteilt, was einen überwältigenden Raumklang erzeugt haben muss.
Als Dirigent ist Wagner in den Dresdener Kapellmeisterjahren ein Pionier. So leitet er eine Art Renaissance von Christoph Willibald Gluck ein, an dessen Reformopern seine eigene Ästhetik des musikalischen Dramas anknüpfen wird: im März 1843 fi ndet die Dresdener Erstaufführung der Armide statt, und am 22. Februar 1847 dirigiert und inszeniert Wagner die von ihm bearbeitete und mit einem neuen poetischen und musikalischen Schluss versehene Iphigenie in Aulis (WWV 77). In Mein Leben und andernorts hat er beschrieben, mit welchem Engagement er zu Werke ging, wie er zunächst die Pariser Originalpartitur studierte, eine wirklich werkgetreue Übersetzung anfertigte und dann Text und Partitur von den Konventionalismen der Uraufführungszeit (zumal was die Liebesbeziehung zwischen Achill und Iphigenie und die übliche »Mariage« am Ende betri ff t) zu befreien sowie die lose nebeneinanderstehenden ›Nummern‹ durch Übergänge in einen geschlossenen Zusammenhang zu bringen suchte. Besonders intensiv hat er sich mit der Ouvertüre befasst, für die er noch 1854 einen neuen Konzertschluss komponieren und über die er im selben Jahr eine ausführliche Studie verfassen wird (GS V, 111–122). – Sein Ziel war, die Oper »soweit als möglich mit dem gleichnamigen Stück des Euripides in Übereinstimmung zu setzen« (ML 351). Während Iphigenie bei Gluck – anders als bei Euripides und getreu der unmittelbaren Vorlage: Racines Iphigénie en Aulide – in Aulis bleibt, führt Wagner ihre Entrückung nach Tauris wieder ein und schlägt so eine Brücke zu Goethes Iphigenie auf Tauris , an deren Entsühnungsthematik und Sprachgestalt sich Wagners neue Schlussszene orientiert: eine Art Prolog zu Goethes Schauspiel.
Wagner bekennt, dass ihn Glucks Oper »namentlich seines Sujets wegen« fesselte (ML 350), fällt doch in diese Zeit eine – nach der Griechenlandbegeisterung seiner frühen Jugend – neue intensive Beschäftigung mit der griechischen Antike und ihrer Literatur, deren Lektüre von nun an bis in seine letzten Lebensjahre das tägliche Brot Wagners werden soll. 1847 ist das eigentliche Antike-Jahr Wagners. In Mein Leben redet er von einem durch »überwältigende Begeisterung« bewegten »systematischen Neubefassen mit dieser allerwichtigsten Bildungsquelle« (ML 353). Insbesondere die Tragödien von Aischylos werden ihm nun das Maß aller dramatischen Dinge. Sie bilden
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