Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Oper und Drama , das 1852 in einer dreibändigen Ausgabe erscheint. Anders als bei den früheren Züricher Kunstschriften handelt es sich hier um ein Werk, das nicht nur kühne spekulative Höhen fl üge unternimmt, sondern die konkrete Realisierung einer neuen musikdramatischen Kunst ins Auge fasst. Die Titel der drei Teile des Buchs zeigen, dass Wagners Gedankengang einem dialektischen Dreischritt folgt. Oper (Teil 1) und Schauspiel (Teil 2) sollen im berühmten dreifachen Hegelschen Sinne ›aufgehoben‹ sein im »Drama der Zukunft« (GS IV, 103 ff .), das Dichtkunst und Tonkunst, welche in der Oper und im Schauspiel voneinander getrennt und einander entfremdet waren, zu ihrem wahren Wesen zurückführt – das eben in ihrer Vereinigung besteht.
Wagners Ästhetik des musikalischen Dramas – er hat auf diesem Begri ff bestanden, den Terminus »Musikdrama« als Pendant zu »Dramma per musica« verworfen (vgl. seine Schrift Über die Benennung ›Musikdrama‹ , 1872) – stellt eine endgeschichtliche Konstruktion dar; er argumentiert gewissermaßen vom Standpunkt eines »absoluten Wissens« im Sinne Hegels aus, das sich in dem von ihm de fi nierten Drama der Zukunft manifestiert. Dieses verweist alle bisherigen Formen des musikalischen und poetischen Theaters – ja der Ton- und Dichtkunst überhaupt – ins Reich des Gewesenen, stellt sie unter das Zeichen des ›Noch-nicht‹, der schmerzlichen Di ff erenz zum wahren Telos der Kunst; sie sind also nichts als Annäherungen an das nun erst realisierte Ideal. Das geschlossene System, das Wagner hier entfaltet, streitet der reinen Dichtung und der »absoluten Musik« (GS IV, 150 u. ö.) – der epochemachende Terminus ist von Wagner geprägt worden – im Grunde die historische Legitimität ab. Dieser geschichtsteleologische Rigorismus ist für die Zeitgenossen begreiflicherweise ein Ärgernis gewesen. Und noch Thomas Mann bezeichnet in seinem Essay Leiden und Größe Richard Wagners (1933) die Idee des musikdramatischen Gesamtkunstwerks, in dem alle Einzelkünste aufgehoben sein sollen, als »schlechtes neunzehntes Jahrhundert« und setzt ihr seine Überzeugung entgegen, dass die Kunst »ganz und vollkommen in jeder ihrer Erscheinungsformen« sei und deren Addition zu einer Einheits- oder Gesamtkunst, in der sie erst ihr wahres Wesen erreichen soll, nicht bedürfe. Wagner hat freilich jenen Systemzwang in seinen späteren Schriften mehr und mehr durchbrochen. Er ist zudem ein zu sensibler Leser und genauer Kenner der Instrumentalmusik gewesen, als dass er sein Urteil über Musik und Dichtung tatsächlich unter das Joch seines teleologischen Systems gebeugt hätte.
Wagner hatte noch kaum Kenntnisse von der Florentiner Camerata und den Anfängen der Oper in Italien, die ja – wie Wagners musikalisches Drama selber – eine Art Wiedergeburt der griechischen Tragödie sein wollte. So konnte er im ersten Teil seines Hauptwerks die historisch abwegige Theorie von der Geburt der Oper aus dem Geiste der »absoluten Melodie« (GS III, 289 u. ö.) aufstellen. Der »Irrthum in dem Kunstgenre der Oper« (GS III, 231) besteht nach Wagner in dem Glauben an die Möglichkeit, »auf der Basis der absoluten Musik das wirkliche Drama zu Stande zu bringen« (GS III, 233). Auch die Opernreform Glucks macht ihn in der Überzeugung nicht irre, dass in diesem Genre » ein Mittel des Ausdruckes (die Musik) zum Zwecke, der Zweck des Ausdruckes (das Drama) aber zum Mittel gemacht war « – so der fettgedruckte Kernsatz von Oper und Drama (GS III, 231).
Wagner unterscheidet zwei Hauptrichtungen der Oper: die eine, welche von Gluck ausgeht und ihren Endpunkt in Spontini erreicht, setzt sich, wenn auch auf rein musikalischem Wege, das Drama zum Ziel, die andere, deren epochemachender Repräsentant Rossini ist, verwendet dramatische Mittel nur zum Zweck musikalischer Wirkung. Sosehr beide Richtungen sich nach Mittel und Zweck unterscheiden, verharren sie doch, nach Wagner, angeblich im Gebiet der absoluten Musik. Diese aber steht zum wahren dramatischen Ausdruck in einem unaufhebbaren Gegensatz. Da die Oper den ihr immanenten Widerspruch nicht lösen kann, hat das »Drama der Zukunft« (GS IV, 103) nicht von ihr seinen Ausgang zu nehmen, sondern einerseits von der klassischen Tragödie, anderseits von der Symphonie desjenigen Komponisten, der die absolute Musik, Wagner zufolge, über sich selbst hinausgeführt habe: Beethoven. Dieser gehe in den Werken seiner zweiten Lebenshälfte über das
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