Richter 07
neugierige Frage.
Die Krabbe wandte sich dem Krebs zu, der um die Hausecke bog und noch immer ein saures Gesicht zeigte. Befehlend rief er ihm zu:
»Nummer drei!«
Blitzschnell fuhr die Hand des kleinen Buckligen aus dem Ärmel. Ein metallenes Klirren folgte, und schon hatte die eiserne Kugel den dritten Kürbis im Gestell treffsicher durchschlagen.
Schwerfällig erhob sich die Krabbe, hob den in zwei Teile gespaltenen Kürbis auf und legte ihn auf die Fläche seiner großen Hand. Voller Spannung trat der Krebs zu ihm. Wortlos betrachteten beide die Kürbishälften. Die Krabbe schüttelte den Kopf und warf sie fort. Mit vorwurfsvollem Blick sagte der Mann:
»Wie ich gefürchtet habe! Wieder überdreht!«
Der kleine Mann lief rot im Gesicht an. Empört fragte er:
»Nennst du einen halben Zoll neben dem Zentrum eine Überdrehung?«
»Keine schlimme«, lenkte die Krabbe ein. »Aber eine Überdrehung bleibt’s doch! Du arbeitest eben mit dem Ellbogen. Aus dem Handgelenk muß es kommen, ein kurzer Ruck und peng!«
Der Krebs rümpfte die Nase und ging ins Haus. Als sich die Krabbe wieder hingesetzt hatte, rief Ma Jung aus:
»Als Zielübung benutzt Ihr sie also!«
»Wozu, dachtet Ihr, würden wir Kürbisse sonst ziehen? Jeden Tag stelle ich sechs auf von verschiedener Größe, in verschiedener Position.« Er spähte über die Schulter, um sicher zu sein, daß er vom Krebs nicht gehört würde. Dann flüsterte er Ma Jung verdrießlich ins Ohr: »Er ist gut. Sogar sehr gut! Aber wenn ich’s zugebe, läßt er nach. Besonders beim Arbeiten mit der kurzen Kette. Ich bin doch verantwortlich für ihn. Er ist mein Freund, versteht Ihr?«
Der Krebs trat mit einem großen Weinkrug und drei irdenen Bechern aus dem Haus. Er setzte alles auf die blank gescheuerte Tischplatte und nahm dann ebenfalls Platz. Sie tranken auf den erfolgreich bestandenen Kampf. Ma Jung leckte die Lippen und ließ sich von der Krabbe erneut einschenken. Dann fragte er: »Kanntet Ihr diese Strolche?«
»Zwei von ihnen. Sie gehören zu einer Räuberbande auf der anderen Seite des Flusses. Vor zwei Wochen versuchten sie einen Überfall auf Fengs Botengänger. Ich und ein anderer Kamerad begleiteten diese und töteten drei. Zwei entkamen, und die erwischten wir jetzt.«
»Wer ist dieser Kerl Li, von dem der sterbende Strolch plapperte?« fragte Ma Jung weiter.
»Wieviel Leute mit dem Familiennamen Li gibt’s hier auf der Insel?« fragte die Krabbe den Krebs.
»Einige hundert.«
»Habt Ihr gehört?« sagte die Krabbe und fixierte Ma Jung mit seinen Glotzaugen. »Einige hundert!«
»Hilft uns nicht weit«, bemerkte Ma Jung.
»Half ihnen auch nicht viel weiter«, sagte die Krabbe trocken. Und zum Krebs gewandt: »Der Fluß sieht hübsch aus in der Dämmerung. Schade, daß wir nicht öfters hier sind zur Abendzeit.«
»So friedlich ist’s dann«, meinte der Krebs gefühlvoll.
»Obgleich nicht immer!« sagte Ma Jung im Aufstehen. »Gut denn, ich nehme an, Ihr beiden kümmert Euch um die Sache, die es hier draußen auszufechten gab. Ich muß zurück zu meinem Chef und ihm berichten, wo ich Fräulein Ling zu finden habe.«
»Falls Ihr sie findet«, sagte die Krabbe. »Als wir heute früh bei ihr vorbeigingen, sahen wir Licht in ihrer Hütte.«
»Da sie blind ist, bedeutet Licht Besuch«, meinte der Krebs. Ma Jung bedankte sich für ihre Gastfreundschaft. Dann stapfte er durch die fallende Dunkelheit davon. Einen Augenblick verweilte er vor Fräulein Lings Hütte. Dunkel, anscheinend völlig verödet lag sie da. Er öffnete die Tür und warf einen schnellen Blick in den dämmerigen Raum, der nur ein Ruhebett aus Bambus enthielt. Niemand war darin.
Sechzehntes Kapitel
Bei seiner Rückkehr in den Roten Pavillon sah Ma Jung Richter Di am Verandageländer stehen und den Parkwächtern beim Anzünden der bunten Lampions unter den Bäumen zuschauen. Er erzählte dem Richter, was sich zugetragen hatte, und schloß:
»Das Endergebnis ist, daß wir jetzt genau wissen, wo Fräulein Ling wohnt. Doch ist sie nicht zu Hause, deshalb brauchen wir nicht hinzugehen. Wenigstens nicht jetzt. Wahrscheinlich haben sie ihre Besucher irgendwohin mitgenommen.«
»Aber sie ist doch sehr krank!« rief Richter Di aus. »Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, Besuch bei ihr zu wissen. Ich glaubte, niemand kenne ihre Zurückgezogenheit außer deinen zwei Freunden und jenem Mädchen Silberfee.« Sorgenvoll drehte er an seinem Schnurrbart. »Bist du sicher, daß der
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