Richter 07
Beziehungen mochte ein ernsteres Element eine Rolle gespielt haben als bloße Liebelei. Es ist wahr, daß er geplant hatte, die Blumenkönigin freizukaufen. Doch bewies sein lebhaftes Interesse für Jadering nicht gerade, daß ein anderer Grund als gewöhnliche Leidenschaft für seinen Entschluß, Herbstmond freizukaufen, vorlag. Vielleicht wollte sie ihn erpressen? Verzweifelt schüttelte er den Kopf. Da beide, der Akademiker und die Blumenkönigin, tot waren, konnte er das Geheimnis nicht ergründen.
Plötzlich fing er an, ärgerlich mit sich selbst zu reden. Er hatte einen großen Fehler gemacht! Die Gäste am Nachbartisch sahen verwundert auf, wie sich dieser große, bärtige Mann ganz für sich allein in Wut redete. Doch Richter Di achtete nicht darauf. Auf einmal erhob er sich, zahlte und ging die Treppe hinunter.
Er ging an Kia Yu-pos Herberge vorbei und linker Hand am Bambuszaun entlang, bis er zu einem kleinen Gatter kam. Es stand halb offen; am Türpfosten hing ein Holzschild mit der Aufschrift »Privat«.
Er stieß das Türchen ganz auf und verfolgte einen ausgetretenen Pfad, der sich unter den Baumriesen hinschlängelte. Ihr dichtes Laub hielt den Lärm der Straße ab. Als er am Ufer eines großen Teichs anlangte, umfing ihn eine merkwürdige Stille. Eine graziös geschwungene Brücke aus rotlackiertem Holz führte über das Wasser. Während er über die knarrenden Bretter schritt, hörte er das Platschen verängstigter Frösche, die ins dunkle Wasser sprangen.
Auf der anderen Seite führte eine steile Treppe zu einem eleganten Pavillon hinauf, der fünf Fuß über dem Erdboden auf dicken Holzpfeilern ruhte. Er war einstöckig, das spitze Dach mit Kupferplatten bedeckt, die mit der Zeit eine grüne Patina angenommen hatten.
Richter Di stieg zur Veranda hinauf. Nach einem raschen Blick auf die feste Vordertür wanderte er um den Pavillon herum. Dieser hatte die Form eines Achtecks. Auf der Rückseite am Geländer stehend, überblickte Di den Garten hinter Kias Gasthof und den seitlich gelegenen Garten der Herberge zur »Ewigen Wonne« dahinter, der von den Lichtern des Parks schwach beleuchtet war. Verschwommen konnte er den zur Veranda des Roten Pavillons führenden Pfad unterscheiden. Er drehte sich um und untersuchte die Hintertür. Ein Streifen weißen Papiers, mit Fengs Siegel versehen, war über das bronzene Hängeschloß geklebt. Die Tür sah weniger solid aus als die an der Vorderseite. Seinem Schulterdruck nachgebend, sprang sie auf.
Er betrat den dunklen Vorraum und tastete nach einer Kerze auf dem Wandtischchen. Dort fand er auch die neben der Kerze liegende Zündschachtel.
Das Licht hochhaltend, musterte er den prächtig ausgestatteten Vorsaal und warf dann einen schnellen Blick in das rechts liegende Wohnzimmer. An der linken Seite des Vorsaals fand er einen Nebenraum, der nur mit einer Bambusliegestatt und einem wackligen Bambustisch möbliert war. Dahinter waren der Waschraum und eine kleine Küche. Offenbar waren das die Räume der Dienerin.
Er ging hinaus und betrat das große Schlafzimmer gegenüber. An der Hinterwand stand eine riesige Bettstelle aus geschnitztem Ebenholz, über der sich ein Betthimmel mit bunten Vorhängen aus bestickter Seide erhob. Vor dem Bett befand sich ein runder Tisch aus verschlungen geschnitztem Rosenholz mit Perlmuttereinlagen. Er diente als Teetisch, doch war er auch für trauliche Mahlzeiten zu zweit bestimmt. Der Duft eines starken Parfüms lag in der Luft.
Der Richter ging zum großen Toilettentisch in der Ecke. Er betrachtete flüchtig den runden Spiegel aus poliertem Silber und das eindrucksvolle Aufgebot von Töpfchen und Büchsen aus buntem Porzellan, in denen die tote Dame ihren Puder und ihre Salben aufbewahrt hatte. Hierauf unterzog er die kupfernen Hängeschlösser an den drei Schubfächern einer eingehenderen Untersuchung. Dort könnte die Blumenkönigin ihre Billets und Briefe aufbewahrt haben.
Das Hängeschloß des obersten Fachs war unverschlossen. Er zog das Fach heraus, entdeckte aber nichts als zerknüllte Taschentücher und fettige Haarnadeln, die einen üblen Geruch verbreiteten. Eiligst schloß er es wieder und ging an das nächste heran. Auch hier hing das Schloß lose am Scharnier. Das Schubfach enthielt die vielen Sächelchen einer Kurtisane für ihre intime Toilette. Heftig schob er es zu. Das dritte war fest verschlossen, doch als er sich gegen das Hängeschloß stemmte, zersplitterte das die Scharniere haltende Holz.
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