Richter 07
Mordanschlag der Krabbe und dem Krebs galt und nicht etwa dir?«
»Natürlich galt er ihnen, Euer Gnaden! Wie konnten die Strolche wissen, daß ich mit ihnen kommen würde? Sie lauerten und warteten auf die Krabbe, der drei der Ihrigen bei einem Raubüberfall vor zwei Wochen getötet hatte. Sie wollten ihre Gefährten an ihm rächen und wußten gar nichts vom Krebs!«
»Wäre das wahr, so hätten die Stromer auch bestimmt die Lebensweise der beiden gekannt und gewußt, daß sie gewöhnlich tagsüber schlafen und erst beim Morgengrauen heimkommen. Hättest du die beiden nicht zufällig gebeten, dich zu Fräulein Lings Hütte zu führen, wären die Angreifer gezwungen gewesen, den Abend und die ganze Nacht dort zu warten!«
Ma Jung zuckte die Achseln.
»Vielleicht waren sie darauf vorbereitet!«
Richter Di dachte eine Weile nach und starrte hinüber zum Parkrestaurant, wo wieder einmal ein rauschendes Fest im Gange zu sein schien. Er drehte sich um und bemerkte seufzend:
»Es war voreilig von mir, gestern davon zu sprechen, daß ich dem Auftrag des Amtmanns Lo noch einen Tag widmen würde! Dennoch brauche ich dich nicht heute abend, Ma Jung. Geh jetzt essen und such dir ein bißchen Vergnügen. Morgen früh wollen wir uns wieder treffen, hier, gleich nach dem Frühstück.«
Nachdem sich Ma Jung verabschiedet hatte, begann Richter Di, die Hände auf dem Rücken verschränkt, die Veranda auf und ab zu schreiten. Er fühlte eine Unruhe in sich und einen Widerwillen gegen den Gedanken, seine Abendmahlzeit allein auf seinem Zimmer einnehmen zu müssen. Er ging hinein und wechselte die Kleidung; dazu wählte er ein einfaches Gewand aus blauem Baumwollstoff. Dann setzte er ein schwarzes Seidenkäppchen auf und verließ die Herberge zur »Ewigen Wonne« durch das Haupttor.
Als er am Vordereingang des Gasthauses vorbeikam, das Kia Yu-po bewohnte, hielt er den Schritt an. Er konnte den jungen Poeten zum Abendessen einladen und ihn über Wens Pläne gegen Vorsteher Feng noch näher ausfragen. Warum mochte der Akademiker das Komplott so plötzlich aufgegeben haben? Hatte er vielleicht erkannt, daß er, wenn er Fräulein Feng zu einer Heirat mit sich zwinge, leichter in den Besitz von Fengs Reichtum käme, ohne mit dem Kuriositätenhändler teilen zu müssen?
Er ging hinein. Der Geschäftsführer gab ihm jedoch Auskunft, daß der Poet die Herberge nach dem Mittagessen verlassen habe und noch nicht heimgekehrt sei. »Und anderntags ließ ich mich dazu herbei, ihm einen Silberbatzen zu leihen«, setzte er traurig hinzu.
Der Richter überließ den Wirt seinen Geldsorgen und ging in das erstbeste Restaurant hinein. Er verzehrte eine einfache Mahlzeit und nahm dann den Tee auf dem Balkon im oberen Stockwerk ein. Dicht am Geländer sitzend, ließ er den Blick absichtslos über die sich unten auf der Straße drängende Menge schweifen. An der nächsten Ecke spendete eine Gruppe junger Leute mehrere Eßnäpfe auf dem Altar, der dort zum Gedächtnis der Toten errichtet war. Der nächste Tag würde der Dreißigste des siebenten Monats sein und das Ende des Totenfestes bedeuten. Dann würden Papiermodelle und andere Opfergaben in Flammen aufgehen. Diese Nacht würden aber die Pforten der anderen Welt noch offen sein.
In seinen Stuhl zurückgelehnt, biß er sich ärgerlich die Lippen. Schon früher war er vor verworrene Probleme gestellt worden, aber dann hatte es wenigstens genügend sichere Anhaltspunkte gegeben, um sich Theorien zu bilden und die möglichen Verdächtigen herauszugreifen. In diesem Fall hingegen vermochte er keinen Ausweg zu finden. Ohne Zweifel stand fest, daß derselbe Verbrecher für den dreißig Jahre alten Mord an Tau Kwang und das Ableben der Dame Herbstmond in Frage kam. Und sollte dieser Mensch nun auch Fräulein Ling beseitigt haben? Sorgenvoll runzelte er die Stirn. Er konnte den Gedanken nicht loswerden, daß zwischen ihrem Verschwinden und dem Überfall auf Ma Jung und dessen zwei Freunde ein Zusammenhang bestehe. Und der einzige feste Punkt in seiner Rechnung war, daß der unbekannte Mörder etwa fünfzig Jahre alt sein und auf der Paradiesinsel oder in der nächsten Nachbarschaft leben müsse. Sogar der Fall des Akademikers war nicht restlos aufgeklärt. Jaderings Geschichte über die Art, wie sie ihn tötete, schien überzeugend genug zu sein, doch sein Verhältnis zu Herbstmond war und blieb ein Geheimnis. Es kam ihm seltsam vor, daß niemand zu wissen schien, wo sie sich heimlich trafen. In ihren
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