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Richter

Richter

Titel: Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Ciancarlo de u Lucarelli Andrea u Cataldo Cammilleri
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Stadtpfarrer sein kann. Eine gemeinsame Kassedient zur Deckung von Ausgaben, mal zur Entlohnung eines Beamten, mal dazu, ihn zu kaufen, mal zu seinem Schutz, mal dazu, einem Unschuldigen etwas in die Schuhe zu schieben ...«
    So wusste Richter Surra also nichts vom Vorhandensein der Bruderschaften, die sich schon zu seiner Zeit »Maffia« nannten und später unterwegs ein f verloren.
    Die Frage ist: Wenn er das gewusst haben sollte, hätte sein Verhalten dann anders ausgesehen?
    Wir meinen, dass dem nicht so gewesen wäre. Sondern wir meinen, dass der Richter tief innen von ihrem Vorhandensein nichts wissen wollte. Er handelte, als ob es sie nicht gäbe, und auf diese Weise schaffte er sie in Montelusa ohne es zu bemerken ab.

Carlo Lucarelli
    DIE BAMBINA

W enn er Comics las, bewegte er dabei immer die Lippen.
    Bei Comics, sonst nicht, denn er war ohnehin kein großer Leser, er hatte nur den Hauptschulabschluss, aber er war nicht so zurückgeblieben, dass er die Sätze laut mitgelesen hätte. Nur bei den Sprechblasen tat er das, und zwar seit er klein war. Das lag an seinem kleinen Bruder.
    Sein erstes Heftchen, wie das damals hieß, war ein Micky Maus : Micky gegen Wolp, den schrecklichen Räuber aus dem Westen . Gut, erst waren da die Bildchen in der Kinderzeitung gewesen, dem Corriere dei Piccoli , aber da hatte ihm seine Mutter die Texte vorgelesen. Dann war er in die Schule gekommen, und gerade zu der Zeit, als er lesen lernte, hatten sein Bruder und er dieses Micky-Maus -Heft gefunden, neben dem Kiosk am Boden, ein Glücksfall, seine Eltern hätten ihm nie im Leben fünfzig Centesimi dafür gegeben, kein Gedanke beim Gehalt seines Vaters, der Polizist war.
    Er war ein Jahr älter als sein Bruder, und so war er als Erster mit dem Heft dran, aber weil er es einfach nicht mehr aus der Hand geben wollte, da er an all den neuenBuchstaben hing, die sich in den weißen Wolken ballten, und sie fast mit den Lippen vom Papier schabte, bevor er zum nächsten Bild weiterging, hatte Enrico, der blitzschnell vorankam, weil er ja nur die Bildchen ansah, gerufen: »Wie lang brauchst du denn noch?«, und ihm das Heft aus der Hand gerissen.
    Seither hatte er, auch in der Zeit danach, immer Satz für Satz gelesen, hatte Wort für Wort mit gespitzten Lippen artikuliert, extra, um seinen Bruder zu ärgern, der sich seinerseits extra weigerte, die Sprechblasen zu lesen. »Dann kann ich mir nämlich vorstellen, was ich will«, sagte er, während er Tim und Spud oder Tarzan und Flash Gordon ansah, die Bilder mit immer neuem Gesichtsausdruck musterte, als sähe er jedes Mal etwas Neues, während der Ältere bei der dritten Lektüre schon alles auswendig kannte.
    Der Große wurde Polizist, der Familientradition gemäß. Enrico hingegen hatte das nicht rechtzeitig geschafft, denn dann war der Krieg ausgebrochen, sie schickten ihn erst nach Albanien und dann nach Russland, anschließend ging er in die Berge zu den Partisanen, und da war er umgekommen.
    Und er hatte weiter die Lippen bewegt, wenn er Tex Avery las, den Piccolo Sceriffo , Kinowa , Tiramolla , Zagor und den Comandante Mark , die Geschichten der Kinderzeitschrift L’Intrepido und über den Lausbuben Monello , von Pedrito el Drito , Crystal aus den Fantastic Four und Billy Bis .
    Eine Zeitlang hatte er gesagt, er kaufe die Heftchen ja nur für seine Kinder, aber die waren mittlerweile groß geworden; trotzdem lasen sie noch immer Diabolik , die Peanuts und Corto Maltese . Die auch er las, obwohl sie ihm weniger gut gefielen, und immer beharrlich, indem er die Lippen bewegte. Das war seine Art des Gedenkens an Enrico.
    Jetzt las er gerade Lanciostory , ein Heft mit Science-Fiction-Comics, und bewegte die Lippen zu einer Geschichte darin über einen Detektiv mit einem Gesicht, ebenso stumpf wie seines, auch der Schnurrbart erinnerte an seinen eigenen, war aber dunkler, nicht grau meliert wie seine Haare, die ihn älter wirken ließen als seine sechsundfünfzig. Er las eine Geschichte mit Larry Mannino , aber langsamer, denn vorhin hatte er die Titelseite betrachtet, von der ihm zweierlei im Gedächtnis geblieben war. Die Ankündigung eines Interviews mit Pino Daniele, Je so’ pazzo , (Ich bin verrückt), und er wusste schon, das würde dafür sorgen, dass ihm das Lied den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf ging. Und die Zeichnung von einer dunklen jungen Frau – sonnengebräunt war sie, im Bikini, mit langem schwarzen Haar und einem exotischen Kettchen am Knöchel –, wegen

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