Richter
alone.
»Wie feiern Sie?«
»Mit meiner Katze, einem Cointreau on the rocks und einem langen Telefonat mit meinem Freund, er ist Anwalt in Turin. Und dazu die Cure« – sie machte eine Bewegung aufs Autoradio hin. Dann schloss sie wieder die Augen und tauchte in die ferne, düstere Musik ab.
Again, and again, and again.
Sie wohnte in Casalecchio, und bis sie dort anlangten, waren schon zwei weitere Stücke gelaufen. Sie war so in Gedanken vertieft, dass sie vergessen hatte, die Kassette herauszunehmen wie versprochen. Sie schlüpfte wieder in ihre Ballerinas, indem sie mit den Füßen am Boden nach ihnen fischte, denn drehte sie sich zu ihrer Tasche um, die sie auf die Rückbank gelegt hatte, und in dem Augenblick bewegte sich der Schatten.
Ferro hatte ihn bereits bemerkt, für ihn war es nicht mehr nur ein Schatten, sondern ein Mann, der hinter einem am Straßenrand geparkten Lieferwagen hervortrat. Ferro hatte die Pistole gesehen, schon bevor der andere den Arm nach der Windschutzscheibe des Ritmo ausstreckte. Seine Hand schnellte sofort zum Beifahrersitz, zu seiner Beretta, dann besann er sich und griff in seinen Rücken, aber der Sitz, die Jacke, die Sitzposition, alles hinderte ihn, er war zu langsam.
Der erste Schuss ließ die Windschutzscheibe zersplittern und die Bambina aufstöhnen, kurz wie ein Schluchzen, beim zweiten bäumte sie sich auf, und der dritte war für ihn, der unterdessen die Tür hatte öffnen und sich hinauswerfen können. Die Jahre, der Knöchel, das Rheuma, sogar der Bluthochdruck waren auf einmal verschwunden,während er die Pistole hervorzog und entsicherte, dann feuerte er sämtliche Schüsse nacheinander ab, auch noch hinter dem Lieferwagen her, der mit kreischenden Reifen losfuhr, er hatte die Pistole in beiden Händen und den Finger am Abzug, bis das Magazin leer war, kein Schuss mehr übrig.
Hätte sie sich nicht umgedreht, um die Tasche von hinten zu nehmen, dann wäre sie tot gewesen. Nach der Lage der Einschusslöcher, Kaliber 38, in der Rückenlehne, hätte sie mindestens einer der Schüsse ins Herz getroffen. Jetzt aber war der erste ein Streifschuss im Rücken, langgezogen wie ein Messerstich, der zweite war auf der Seite eingedrungen, zwischen den Rippen, zwar ohne lebenswichtige Organe zu treffen, doch schwebte sie jetzt zwischen Leben und Tod, im künstlichen Koma im Ospedale Maggiore.
Alle sagten, es sei nicht seine Schuld gewesen, aber er wusste, irgendwer dachte das Gegenteil, dass Ferro nicht mehr derselbe war wie früher, dass er schlecht alterte, dass sie ihm die Richterin abgeschossen hatten, und falls niemand es dachte, auch egal, denn er dachte es ja selbst.
Obwohl es ihm gutging, hatten sie ihn für drei Tage krankgeschrieben. An den ersten beiden war er unablässig ins Präsidium rein- und wieder rausgelaufen, von Adrenalin getrieben, unfähig still zu sitzen. Hatte es ein Bekennerschreiben gegeben? Nein. Treffer dank dem Phantombild? Nein. Festnahmen? Nein. Geh nach Hause, Ferro, wir kümmern uns drum.
Nach der Bambina hatte er erst am zweiten Tag gefragt,aus lauter Angst, man könnte ihm sagen, die Operation sei nicht gutgegangen, es habe Komplikationen gegeben, sie sei tot. Und er fragte im Büro nach, nicht im Krankenhaus, als ob es die Angst vor einer schlechten Nachricht milderte, sich bei einem Kollegen zu erkundigen.
Dann war er endlich zusammengebrochen und hatte den dritten Tag fast ganz vor dem Fernseher verbracht. Musik- und Unterhaltungsprogramme, Nachrichtensendungen bis hin zur Tagesvorschau , morgen ist der 4. Juli, Sonnenaufgang um fünf Uhr vierzig, Untergang um zwanzig Uhr neunundvierzig, Mondaufgang um null Uhr sechsundfünfzig, Untergang um zwölf Uhr achtzehn, die Heiligen des morgigen Tages sind Elisabeth von Portugal und der hl. Ulrich von Augsburg. Dann wieder Unterhaltungsprogramm. Erinnern konnte er sich hinterher an nichts, auch nicht an das Tagesmotto.
Es war Abendessenszeit. In der Küche fand er zwei in der Pfanne brutzelnde Steaks vor und seine Frau, die gerade die Pasta abgoss. Nur zwei Gedecke.
»Isst Lorenzo nichts?«
»Er sagt, er fühlt sich nicht wohl.«
»Der fühlt sich schon sein Leben lang nicht wohl.«
Lorenzo hatten sie spät bekommen, als sie schon nicht mehr damit rechneten. Annalaura und Giovanna, das war schnell gegangen, gleich nach dem Krieg, kaum dass Ferro eine Stelle gefunden hatte, dann war etliche Jahre später der Junge gekommen, ganz unversehens. Jetzt war er achtzehn, und seit er aus London
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