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Richter

Richter

Titel: Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Ciancarlo de u Lucarelli Andrea u Cataldo Cammilleri
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sich nicht einmal nach dem Schützen um, sondern warf die Bambina auf die Rückbank undrannte um den Wagen herum zur Fahrertür. Wären die Schüsse nicht wegen des Schalldämpfers so ungenau gewesen, sie hätten ihn längst getroffen, stattdessen schlug eine Kugel im Türpfosten ein, eine weitere surrte ihm vor der Nase vorbei wie eine Hornisse. Dann gelang es ihm endlich, den Gang einzulegen, und er gab Gas.
    Er bog auf die Via Emilia ein und raste sie geradeaus entlang, ungewiss, in welche Richtung er eigentlich fuhr. Er wollte zum Präsidium, die Bambina auf seinen Armen hineintragen, aber beim Nachdenken überkamen ihn Zweifel, oder besser beim Nachspüren, intuitiv. Er nahm diese Empfindung von Unruhe wahr, die sich unter Erregung und Angst mischte – er hatte geschossen, er war beschossen worden –, doch war da noch etwas anderes, etwas Helles, Kaltes.
    Bulleninstinkt.
    Er verlangsamte und hielt an der roten Ampel, die er zunächst hatte überfahren wollen. Er sah sich in dem Wagen um, jetzt fiel ihm das für das Funkgerät umgebaute Armaturenbrett auf, das Mikrofon, das am Ende der zur Spirale gedrehten Leitung baumelte, auch die weiß-rote Kelle, unter die Sonnenblende des Beifahrersitzes geklemmt. Dort lag die Jacke des Mannes, auf den er geschossen hatte. Er befühlte sie mit der Hand, bis er etwas in der Innentasche spürte, ein Portemonnaie, darin die Dienstmarke: Maresciallo Montana – ein Carabiniere.
    Es wurde Grün. Aber Ferro rührte sich nicht, hinter ihm war niemand. Wildes Sirenengeheul in der entgegengesetzten Richtung, die Via Emilia hinunter. Er schaltetedas Funkgerät an und fand ohne Weiteres die richtige Frequenz, auf der er die Beschreibung des Wagens und seine eigene hörte, nur der Name fehlte.
    Sie sagten, er habe eine Richterin entführt und einen Unteroffizier der Carabinieri erschossen.
    Zuerst hatte er an Grisenti gedacht – er soll mir helfen, wir reden mit Richter Cancedda ... Er musste eine Telefonzelle finden oder direkt zu ihm nach Hause fahren. Dann hörte er hinter sich ein Wimmern, und die Bambina fiel ihm wieder ein. Sie lag zusammengekauert auf der Rückbank, hatte die Augen geschlossen, dazu die Plastiktentakel, und sie war noch blasser als vorhin. An ihrer Seite hatte sich ein dunkler Fleck unter dem Krankenhauskittel ausgebreitet, und ihm wurde wieder ganz schwach.
    Ihm blieb keine Zeit mehr zum Nachdenken. Da war diese kalte Unruhe, die ihn daran hinderte, einfach ins Präsidium zu laufen oder die 113 anzurufen, auch ins Krankenhaus konnte er sie nicht zurückbringen und sie so lange mit gezückter Pistole beschützen, bis jemand kam, dem er vertrauen konnte. Wenn dieselben Männer wiederkehrten? Wenn er festgenommen wurde, sobald er auftauchte? Die Zeit lief ihm davon.
    Und da kam ihm ein zweiter Name in den Sinn, er legte den Gang ein und fuhr los, obwohl die Ampel wieder rot geworden war.
    Dieser andere Name lautete Sanna. Sanna wohnte in Croce di Casalecchio, in einem abseits gelegenen Haus, fast auf dem Land, obwohl die Umgehungsstraße ganz in der Nähe verlief. Er war schon im Bett, und als er ihndurchs Fenster sah, zog er den Vorhang wieder vor und machte das Licht aus, aber Ferro schlug mit der flachen Hand an die Scheibe, und wahrscheinlich hätte er sie irgendwann eingeschlagen.
    »Was willst du?«
    »Ich brauche Hilfe.«
    »Bist du krank?«
    »Ich nicht, aber sie.«
    Sanna schloss den obersten Knopf seines Pyjamas und kam heraus, um ins Auto zu schauen.
    »Scheiße«, sagte er. »Wer ist das?«
    »Eine Untersuchungsrichterin.«
    Sanna trat einen Schritt zurück, blickte aber weiter auf die Bambina.
    »Willst du mich verarschen? Die haben mich dreimal wegen unerlaubter Ausübung des Arztberufs drangekriegt, und jetzt kommt ein Bulle daher und verlangt, ich soll eine Richterin behandeln?«
    In seinem Keller hatte Sanna eine voll eingerichtete Praxis, Beweis dafür, dass er wieder die Bösewichte zusammenflickte, die bei Schießereien mit den Ordnungskräften etwas abbekommen hatten. Im Kühlschrank hatte er Blutkonserven – das zeigte, dass er erst kürzlich aktiv gewesen war –, außerdem verfügte er für Operationen über eine Maschine ähnlich der, die im Krankenhaus am Bett der Bambina gestanden hatte.
    Wenn das Adrenalin nachlässt – Ferro wusste das –, kommt eine enorme Müdigkeit, auch wenn es durchaus unangebracht ist zu schlafen. Er wartete ab, bis Sanna die Bambina versorgt hatte, sah ihn stillschweigend nicken,ein Zeichen dafür, dass

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