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Richter

Richter

Titel: Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Ciancarlo de u Lucarelli Andrea u Cataldo Cammilleri
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ihm dennoch auf.
    Bulleninstinkt.
    »Schichtwechsel«, dachte er erst, doch dann dachte er: »Nein.« Es ist neun Uhr abends, die Schichten gehen von null bis sechs Uhr, von sechs bis Mittag, von Mittag bis achtzehn Uhr, dann wieder bis Mitternacht, schließlich hatte er selbst oft genug Wache geschoben.
    Er blickte Lo Iacono nach, der im sommerabendlichen Dämmer verschwand, und fragte sich, warum er so unruhig war. Es konnte tausend Gründe dafür geben, dass jemand beschlossen hatte, die Wache aus dem Krankenhaus abzuziehen, vielleicht gab es wirklich einen außerplanmäßigen Wechsel, vielleicht hatten die Carabinieri die Sache an sich gezogen, vielleicht bestand auch gar keine Gefahr mehr, aber warum war er dann so angespannt, die Stirn ans Glas gepresst beim Anblick dieses schwarzen Wagens, der sich nicht von der Stelle rührte?
    Bulleninstinkt.
    Dann sah er sie kommen, aus dem Schatten hinter dem Parkplatz, sah sie an dem schwarzen Wagen vorbeigehen, und einer, der dickste, schlug mit der flachen Hand auf die Motorhaube, als eine Art Gruß. Drei Männer in Zivil, Jeans und Jacken. Waren das Carabinieri? Nein, denn der dritte, der schlankeste, blieb kurz stehen und steckte sich eine Zigarette an. Er wirkte nervös, er hob den Kopf für den ersten Zug, und Ferro sah ihn genau im Licht der gelben Lampe des Krankenhauses.
    Der Typ vom Phantombild.
    Der Mann, der auf sie geschossen hatte.
    Ferro löste sich vom Fenster und trat zurück, als könne der andere ihn sonst sehen. Instinktiv griff er unterdie Jacke nach der Pistole. Kurz erwog er hinauszulaufen, jemanden anzurufen, die 113 zu wählen, doch er wollte die Bambina nicht allein lassen, und von Ärzten und Schwestern konnte er keine Hilfe erwarten, das hier war ein Krankenhaus, keine Polizeikaserne. Das einzige Telefon, an das er sich erinnern konnte, befand sich irgendwo unten, viel zu weit weg.
    Er schloss die Tür ab und richtete die Pistole darauf. Aber das war noch nicht die richtige Idee. Auch wenn er schoss, würden sie es hereinschaffen und sie beide umbringen, bevor jemand kam, der ihnen helfen konnte.
    Links war das Bad. Die Tür stand offen, so konnte er eine weitere, verschlossene Tür sehen, die wohl ins nächste Zimmer führte. Ferro rüttelte an der Klinke, trat gegen die Tür, dann noch einmal mit dem flachen Fuß, aufs Waschbecken gestützt, und das Schloss sprang auf. Das Zimmer war leer und dunkel.
    Ferro ging zurück zur Bambina, und dort blieb er stehen, neben dem Bett, von plötzlicher Schwäche weich gemacht. All diese Schläuche, die Nadeln, und sie so bleich und schmal. Kurz fürchtete er, er könne ohnmächtig werden, dann riss er sich zusammen, zog den Infusionsschlauch vom Beutel ab, denn an die Kanüle traute er sich wirklich nicht heran, zog die anderen Schläuche von der Maschine und versuchte sich daran zu erinnern, wie er seine neugeborene erste Tochter hochgehoben hatte, so klein, dass er Angst hatte, sie zu zerbrechen. Er schob die Hände unter das Betttuch und nahm die Bambina in den Arm. Sie wog fast nichts.
    Er trug sie durch das Bad, schloss die Zwischentürhinter sich und stand mit angehaltenem Atem in dem dunklen Raum. Er hörte, wie sie in das Krankenzimmer kamen, hörte einen: »Verdammte Scheiße, wo ...«, dann ging er rasch durch die andere Tür in den leeren Korridor und schlüpfte in den Aufzug, der noch offen stand.
    Die Fahrt abwärts schien ihm eine Ewigkeit zu dauern. Unendlich lang betrachtete er sich im Spiegel, sah, wie er das blasse, schlaffe Mädchen im Arm hielt; sie hatte bloße Füße und trug nichts als den krankenhauseigenen Kittel. Die Schläuche hingen ihr aus den Armen wie Plastiktentakel. Was tat er da bloß? Möglicherweise brachte er sie gerade um. Dann war die Ewigkeit zu Ende, der Fahrstuhl ging auf und Ferro rannte hinaus.
    »Rufen Sie die Polizei!«, rief er der Krankenschwester zu, die ihn aus großen Augen anstarrte, im Weiterrennen, denn er wusste, dass sie ihm bereits auf den Fersen waren.
    Er wollte zum Parkplatz, zu seinem Auto, doch vor dem Haus stand dieser schwarze Wagen. Gerade stieg der Fahrer aus und lehnte sich auf das Dach. Ferro wusste genau, was er tat, der Mann zielte auf ihn, also schoss er selbst als Erster, unter der Bambina weg, er hatte sie nicht losgelassen, die Kugel drang durch beide Autofenster und warf den Mann rücklings in ein Blumenbeet.
    Dann ein weiterer Schuss, von hinten, Ferro hörte ihn nicht, sondern sah ihn in die Beifahrertür einschlagen. Er drehte

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