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Richter

Richter

Titel: Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Ciancarlo de u Lucarelli Andrea u Cataldo Cammilleri
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Tausch zwei oder drei der normalen wert waren. Auch Maestro Vito hatte das mitbekommen. Nachdem Donato Casati gegangen war, kam der Lehrer zu Ottavio und umarmte ihn wie ein Vater seinen Sohn.
    »Das war eine bittere Lektion, aber sie wird dir zu etwas nutze sein. Du bist ein kleiner Löwe, du kommst darüber hinweg.«
    Doch die Geschichte war damit noch nicht beendet. Ein paar Tage später kam wiederum Donato Casati während der Pause auf ihn zu, mit betrübtem Gesicht.
    »Pierfiliberto hat sich alles wiedergeholt. Die Comichefte, die Figuren, alles. Er hat auch gesagt, ab morgen müssen wir ihm abwechselnd den Pausenimbiss zahlen. Er sagt, jetzt ist er gewählt, also müssen wir ihm seine Sachen zurückgeben.«
    »Und ich, was habe ich damit zu tun?«
    »Du musst es dem Lehrer erzählen. Dann annulliert er die Wahl, und wir stimmen noch einmal ab.«
    »Ah nein. Ihr habt euch für ihn entschieden, jetzt behaltet ihn auch!«
    Und während er das sagte, spürte er, wie ihn ein wunderbares Gefühl der Niederlage erfüllte. Er konnte es noch nicht wissen, der kleine Ottavio, aber das warschon genau jenes selbstgefällige Selbstmitleid, das Teresa ihm ein Leben lang vorwerfen sollte. Aber beim Elchgeweih, wie es der bewunderte Blek Macigno sagte, er fühlte sich haargenau wie Cincinnato , und er war so stolz darauf!
    Pierfiliberto blieb das gesamte Schuljahr über Klassensprecher. Trotzdem wurde bald klar, dass es nur noch ein rein formales Amt war, da zwischen Maestro Vito und dem alten Lehrer Welten lagen. Unfähig, sich zu beherrschen, sprang Pierfiliberto beim ersten Mal, als der Lehrer die Klasse wegen einer wichtigen Besprechung mit dem Herrn Direktor allein lassen musste, zur Wandtafel, zog einen säuberlichen senkrechten Kreidestrich, schrieb links GUTES BETRAGEN und rechts SCHLECHTES BETRAGEN hin und begann fleißig, Namen in die rechte Spalte einzutragen. Er war beim fünfzehnten angelangt (Anführer der Liste: Ottavio), als der Lehrer unvermittelt zurückkam.
    »Was soll denn das sein, Pierfiliberto?«
    »Na, die Guten und die Schlechten, Maestro!«
    »Und woher hast du diesen brillanten Einfall?«
    »Bei dem alten Lehrer haben wir das immer so gemacht. Und dann hat er den Schlechten ihre Belohnung verpasst.«
    »Was für eine Belohnung?«
    »Zehn mit dem Stock ...«
    »Vielleicht ist dir das noch nicht ganz klar, Junge: Ich bin nicht dein alter Lehrer. Hier gibt es weder Stockhiebe noch andere Strafen dieser Art. Spiel mir den Streich noch einmal, und ich enthebe dich deines Amtes.«
    »Das können Sie nicht, Signor Maestro. Meine Klassenkameraden haben mich gewählt. So geht Demokratie eben.«
    Maestro Vito betrachtete seine Schüler. Sie lachten angesichts von Pierfilibertos Seitenhieb und bewunderten seine Schlagfertigkeit. Er empfand großen Schmerz, um ihret- und um seinetwillen. Nur Ottavio blieb todernst, sah fast angeekelt aus. Auch um seinetwillen empfand der Lehrer Schmerz. Für einen kurzen Moment streifte ihn der Gedanke, dass die Demokratie eine üble Erfindung sein konnte.

1.

    Novere, Italien, heute
    E ines Nachts hatte Ottavio Mandati, Staatsanwalt der Republik am Gericht von Novere, einen Traum.
    Zwei schwarz gekleidete Männer klopften an seine Tür und präsentierten ihm einen Haftbefehl fürs Untersuchungsgefängnis.
    Die beiden waren identisch mit Bardolfo und Pistola, den alten Marescialli, die seit eh und je für ihn arbeiteten.
    Wäre es nicht ein Traum gewesen, der Staatsanwalt hätte herzlich gelacht. Bardolfo und Pistola waren zwei Spaßvögel, Toskaner von echtem Schrot und Korn, von der Sorte, die sich lieber ein Auge ausstechen lassen würde, als auf einen Streich zu verzichten. Und einem hohen Beamten einen Haftbefehl mit dessen eigener Unterschrift überreichen, das ist jedenfalls ein schöner Streich. Doch es war ja ein Traum. Und Mandati wusste ihn zu träumen, schon mal das. Übrigens träumte er sehr gern. Also überflog er das Dokument nur rasch, ohne sich allzu lange bei seiner eigenen Unterschrift aufzuhalten.
    »Papa! Was ist denn los?«
    Lucio, sein Sohn, war ein Einzelkind. Ein introvertierter Junge von zweiundzwanzig Jahren, der widerwillig Jura studierte, Rockmusik liebte, unerreichbaren Mädchen nachstellte, seinerseits von anderen Mädchen verfolgt wurde, die leichter zu haben gehabt wären, die er aber regelmäßig verschmähte. Alles Details, die Ottavio durch einen heimlichen Ausflug auf Facebook erfahren hatte. Als Teresa ihn bei der Spionage ertappte,

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