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Richter

Richter

Titel: Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Ciancarlo de u Lucarelli Andrea u Cataldo Cammilleri
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ich.«
    »Ich nehme kaum an, dass Sie sich noch einmal in meiner Praxis zusammenflicken lassen wollen.«
    »Ich dachte auch nicht an mich.«
    »Ich weiß.«
    Merkwürdig, beide hatten das Gefühl, dass sie einander viel zu sagen hätten, aber beide waren zu scheu, es zu tun. Sanna hatte das schon mit Verbrechern erlebt, denen er als Kind die Hand gehalten hatte, und Valentina mit Polizisten und Carabinieri, mit denen sie sich im Büro ganze Nächte über den Akten um die Ohren geschlagen hatte. Dann ging dieser Moment vorbei, und sie standen einander wieder als Fremde gegenüber.
    »Wollen Sie mir verraten, wie Sie heißen?«, fragte Valentina.
    »Lieber nicht«, antwortete Sanna. »Wie weit sind Ihre Ermittlungen? Ihr Name steht ja öfter in der Zeitung.«
    Manchmal auch der Spitzname. Die Bambina.
    »Festgefahren. Ich weiß, es ist noch kein Monat vergangen, es gäbe noch vieles zu überprüfen, aber ich sehe ja selbst, dass sich nichts mehr bewegt.«
    Sie hatte dafür gesorgt, dass der Buchhalter zurückkam, sie hatte den einen oder anderen Geschäftsmann verhaften lassen, und eine Reihe von Offizieren der Geheimdienste hatten ihren Abschied genommen. Ihr Kollege, der korrupte Idiot, wurde angeklagt und vom Dienst suspendiert. Außerdem hatte sie etliche schwarze Kassen aufgetan, doch das war es auch schon. Nie war von etwas Größerem die Rede gewesen, von einer Partei, einem Clan oder einer Loge, von alten oder neuen Akteuren. Und ebenso wenig von einer Liste mit prominenten Namen.
    »Wenigstens haben wir Ferro gerächt«, sagte Sanna.
    Valentina gab den Polizisten noch ein Zeichen, damit sie weiter auf Abstand blieben.
    »Ich sehe es lieber so, dass wir noch mehr getan haben. Wir haben denen gezeigt, dass sie eben doch nicht über unsere Köpfe hinweg und hinter unserem Rücken tun können, was sie wollen.«
    »Glauben Sie tatsächlich, die werden aufhören, Leute abzuknallen und Bomben zu legen, um ... wie hat er das genannt ... die Demokratie zu lenken?«
    »Ich weiß nicht. Aber jedes Mal, wenn es eine solche Ermittlung gibt, egal wie weit sie kommt, werfen wir ihnen damit Stöcke in die Räder, und irgendwann bringen wir damit den Karren zum Stehen.«
    »Das glauben Sie wirklich?«
    »Ja, das ist mir jetzt klar geworden. Ich würde den Job sonst nicht machen.«
    Sanna kniff die Lippen unter seinem Schnurrbart zusammen. Mittlerweile hatte Valentina gelernt, ein Lächeln von einer Grimasse zu unterscheiden, und jetzt lächelte er.
    »Marco Sanna«, sagte er mit ausgestreckter Hand.
    In diesem Moment zerriss eine Explosion die reglose Augustluft, gefolgt von einem Donnern, das endlos lange unter dem Himmel widerzuhallen schien. Viele Passanten unter den Bogengängen stürzten vor Schreck zu Boden, auch Sanna und Valentina fanden sich auf den Knien wieder, die Köpfe zwischen die Schultern gezogen, Hand in Hand.
    Dann rappelten sie sich hoch, traten unter den Bögen hinaus auf die Straße und sahen eine dicke, schwarze Rauchsäule aufsteigen, dort, wo der Bahnhof lag.
    * Giuseppe Pinelli, linker Aktivist, 1969 nach Verhören in Polizeigewahrsam verstorben. Der Vorfall war Vorlage für das Theaterstück von Dario Fo »Zufälliger Tod eines Anarchisten« (Anm. d. Übers.).

Giancarlo de Cataldo
    DER DREIFACHE TRAUM DES STAATSANWALTS

D ie Leichtigkeit, mit der sich die westliche Welt der Kriminalität ergibt, ohne jede Gegenwehr, vermittelt den Eindruck, dass zwischen Mafia und Demokratie eine unauflösliche Verbindung herrscht. Dank der Kapitalströme, die das organisierte Verbrechen Tag um Tag in strategische Sektoren der Wirtschaft einspeist, überstehen unsere Demokratien die aktuellen Krisen unversehrt. Die ursprünglich illegale Anhäufung des Mafia-Kapitals benötigt für ihre Rechtfertigung ein komplexes legislatives und prozessuales System. Einerseits gilt es, die Bevölkerung weiter in dem Trugschluss zu bestärken, die gesellschaftlichen Dynamiken würden von Politik und Gesetzen gesteuert; andererseits besteht das Ziel darin, innerhalb von zwei, höchstens drei Generationen die verschiedenen Mafias komplett zu integrieren. Die Mafiosi sind die Kriegsherren der heutigen Zeit: Sie garantieren die Aufrechterhaltung des Systems und seine unversehrte Reise ins Morgen. Ihre Söhne und Enkel werden eine neue Elite bilden, dazu bestimmt, die westliche Welt zu erben.
    THELONIOUS K. LECINSKY,
    Democracy and Conspiracy,
    Samanthowatan University Press, 2010

PROLOG

    Novere, Herbst 1966
    K inder, passt bitte

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