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Richter

Richter

Titel: Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Ciancarlo de u Lucarelli Andrea u Cataldo Cammilleri
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blieben alle stehen, um sie zu betrachten: Die einen deuteten ein Lächeln an, die anderen einen Gruß, während die jungen Anwälte demonstrativ den Blick abwandten, in der offenkundigen Absicht, möglichst deutlich den Widerwillen auszustellen, den ihnen der Anblick des öffentlichen Anklägers verursachte.
    Bevor er den kleinen Saal der Vorverhandlungen erreichte, blieb Ottavio kurz vor einem Spiegel stehen. Der Krawattenknoten wirkte ordentlich, und insgesamt verlieh ihm seine nüchtern-würdige, nie auffällige oder gar exzentrische Kleidung jene etwas pedantisch rechtschaffene Wirkung, die die Leute von einem Staatsdiener erwarteten. Als er das seinem Sohn einmal erklären wollte, hatte dieser sarkastisch entgegnet:
    »Aber Papa, du kleidest dich doch nicht so, weil die Leute gern hätten, dass du so wirkst . Du bist einfach so: rechtschaffen und ziemlich pedantisch.«
    Die Vorverhandlungsrichterin, eine rundliche, joviale Kollegin, verspätete sich. Tafano Tafàni nutzte die Gunst der Stunde, um ein paar atmosphärische Aufnahmen zu machen für das Gerichts-Special, das den ganzen Nachmittag als Endlosschleife gezeigt werden sollte.

3.
    N ur drei der fünfzehn Verfahren gegen Pierfiliberto waren mit einem regelrechten Freispruch ausgegangen, also mit der Feststellung seiner »Unschuld«.
    Bei vier Gelegenheiten wurde Ottavios Antrag auf Eröffnung eines Hauptverfahrens abgelehnt, bei fünf weiteren wurden die von ihm formulierten Anklagen von Gesetzesänderungen während des Verfahrens torpediert.
    Die Kollegin ließ immer noch auf sich warten. Auch die üblichen Rechtsverdreher des Vertrauens des illustren Angeklagten waren bisher nicht zu sehen. Ottavio bat Bardolfo und Pistola, ihm Bescheid zu geben, wenn alles bereit wäre, und ging auf eine kleine Terrasse hinaus, um eine toskanische Zigarre zu rauchen. Der Boden war von Kippen und Taubenscheiße bedeckt. Natürlich war der Reinigungsdienst in einer Public-Private-Partnership an den Betrieb eines Pierfiliberto nahestehenden Stadtrates vergeben worden. Noch so ein Wohltäter der Gemeinde. Die ersten Züge raubten ihm den Atem. Oha, offenbar wurde er so langsam älter. Noch etwas, wo Pierfiliberto ihn um etliche Längen schlug. Sie waren gleich alt, aber der Bürgermeister sah aus wie sein jüngerer Bruder. Er rauchte nicht, trank nicht und joggte zweiStunden täglich. Angeblich kam er mit extrem wenig Schlaf aus. Er war von einer solchen animalischen Energie, dass er wirkte wie die Mischung aus einem Rammbock und einem Außerirdischen. Es war kein Wunder, dass so viele ihn mochten. Wären jene gewissen Details nicht gewesen – er war außerdem ein eingefleischter Verbrecher und ein pathologischer Lügner mit Raubtierinstinkt – hätte sogar Ottavio ihn sympathisch finden können. Auf der anderen Seite des Innenhofs klopften zwei auf einem Gerüst stehende Arbeiter matt an einem lose sitzenden Blechdach herum. Auch das Gerichtsgebäude hatte seine eigene Geschichte. Wie auch anders, hier in Novere? Mitte der Achtziger war es auf einem Gelände erbaut worden, das Rocco und Saro Pantaleo gehört hatte, zwei Brüdern aus Platí, die in den Folgejahren wegen einer Bleivergiftung von der Bildfläche verschwunden waren. Während der ganzen Sache – Erwerb des Grundstücks, Erteilung der Baugenehmigung, Auftragsvergabeverfahren, Sanierung (an einem bestimmten Punkt hatte es ein Asbest-Problem gegeben) – hatte der Herr Bürgermeister sich mehrfach eine goldene Nase verdient und war aus allen Ermittlungen so rein hervorgegangen wie ein frisch gebadeter Säugling. Jedes Mal, wenn er das Gebäude betrat, musste Ottavio sich beherrschen, um nicht zu kotzen. Er saß im Produkt des Übeltäters. Und in seinem Namen sprach er Recht.
    Atemlos kamen Bardolfo und Pistola angehetzt und schreckten ihn jäh aus seinem Grübeln.
    »Dottore, kommen Sie schnell, es ist alles ein Mordsdurcheinander!«

4.
    U m acht Uhr fünfundvierzig wollte Pierfiliberto Berazzi-Perdicò gerade in seinen schwarzen Lexus R X 450 steigen, auf dem Parkplatz im weitläufigen Garten seiner Familienvilla, da kam ihm Terenzio hinterhergerannt, sein Sohn. Avvocato Appella, der in einem Stau auf der Umgehungsstraße der Provinzhauptstadt festsaß, verlangte ihn dringend zu sprechen. Er hatte auf dem Festnetzapparat angerufen. Als sein Vater fragte: »Warum ruft der mich denn nicht auf dem Handy an?«, präsentierte der Junge ihm das Gerät, das Pierfiliberto achtlos auf dem Schreibtisch seines

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