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Richter

Richter

Titel: Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Ciancarlo de u Lucarelli Andrea u Cataldo Cammilleri
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Arbeitszimmers hatte liegen lassen. Also folgte der Bürgermeister seinem Sohn zurück ins Haus. Und kaum hatte er dort den Hörer ans Ohr geführt, da ertönte draußen eine heftige Explosion. All das schilderten Bardolfo und Pistola haarklein auf dem Weg zur Clinica Villa Maria.
    »Der Lexus ist in die Luft geflogen, wahrscheinlich per Fernsteuerung gezündet. Die Glassplitter sind hundert Meter weit geflogen, mehrere Bäume umgestürzt.«
    »Und der Fahrer?«
    »Der Bürgermeister hat keinen Fahrer. Er fährt seinen todschicken SUV lieber selbst.«
    »Typisch. Keine Toten also ...«
    »Und auch keine Verletzten. Der Bürgermeister hat sich nur vorsorglich ins Krankenhaus einliefern lassen. Wegen des Schocks ...«
    »Das hat er selbst angezettelt, um den Prozess zu verzögern«, schnaubte Bardolfo halblaut.
    Der Staatsanwalt schüttelte den Kopf.
    »Glaube ich nicht. Wie viel hat dieser SUV gekostet?«
    »Zweihunderttausend.«
    »Du willst uns weismachen, Pierfiliberto ist einer, der so eine teure Mühle opfert, um eine Verhandlung zu verzögern, wofür ihm ein Attest seines Arztes genügen würde? Nein, das glaube ich nicht.«
    »Vielleicht ist der Wagen geleast. Oder er hat Ärger mit der Versicherung?«
    »Möglich. Aber vorerst ...«
    Vorerst gab es ein Attentat und ein Opfer. Pierfiliberto. Blieb noch abzuwarten, ob sie dieses eine Mal auf derselben Seite stehen würden.
    In der Klinik wurden sie von ein paar aufgeregten Nonnen in ein exklusives Wartezimmer geleitet. Die Villa Maria war eine der vier Vertragskliniken von Novere. Die angesehenste und effektivste. Ja, die Geschichte mit den Kliniken. Noch so eine Schlappe. Er hatte wirklich schon einiges von dem Mann einkassiert. Einst gab es auch in Novere ein Krankenhaus in öffentlicher Hand. Und es lief gut. Aber irgendwann begann es Anzeigen zu hageln, gegen Ärzte, Leitung und Pflegekräfte, Anzeigen wegen Kunstfehlern. Ein unglaublicher Aufzug von weinenden Verwandten, unterstützt von Lokalpolitikern. Ob es nun die neunzigjährige Oma mit Parkinsonwar oder der Alkoholiker mit seiner vom Schwarzgebrannten zerstörten Leber – jeder liebe Verstorbene landete unfehlbar auf dem Tisch des Staatsanwalts. Und der lehnte die Fälle unweigerlich ab und gab sie ins Archiv, womit er sich einen Ruf als verhasster Verteidiger des Ungesunden erwarb.
    Doch was sollte er tun? Die Anzeigen waren ganz offensichtlich an den Haaren herbeigezogen. Was zum Teufel ritt bloß seine Mitbürger? Wollten sie jetzt gegen Mutter Natur vorgehen? Wollten sie sich weigern anzuerkennen, dass jedes menschliche Wesen irgendwann geboren wird und irgendwann auch sterben muss? Das Geheimnis lüftete sich, als drei Monate nach dem Tsunami die Region den neuen Gesundheitsversorgungsplan bekannt gab. Das Krankenhaus von Novere war unter denen, die vom allgemeinen Spital zur Notfallstation herabgestuft wurden. In der Praxis bedeutete das, dass die Novereser für jeden Eingriff, der über einen eingewachsenen Nagel hinausging, entweder ins Krankenhaus von Vaglio di Sotto (achtzig Kilometer) oder gleich in die Regionalhauptstadt (hundertfünfzig Kilometer) reisen mussten. Oder aber sie begaben sich folgsam in eine der vier Vertragskliniken der Stadt. Welche – hinter ein paar Strohmännern – niemand anderes kontrollierte als der Herr Bürgermeister.
    Und während in den anderen Gemeinden der Provinz und teilweise auch in der übrigen Region die Ankündigung der Verkleinerung und Schließung von Krankenhäusern Gegenreaktionen bewirkte – hier wurde einem Stadtrat ins Gesicht gespuckt, da gab es eine Straßenblockade,und in Minisola Castromontana drohte ein Student und Globalisierungsgegner, sich anzuzünden wie ein tibetanischer Mönch –, wurde die Maßnahme in Novere, und nur in Novere, von den Bürgern beklatscht. Gesenkten Kopfes stürzte sich Ottavio Mandati in die Untersuchung der Umstände und beschuldigte Pierfiliberto und die gesamte Gemeinderegierung. Der Prozess aber erwies sich als Totgeburt. Alles war formal in Ordnung. Die Strohmänner, zwei weinselige Achtzigjährige, zückten Belege für Gewinne im Lotto, dank derer sie unvermittelt und klugerweise beschlossen hatten, im Gesundheitssektor zu investieren. Seine Haftanträge wurden einer nach dem anderen abgewiesen. Telenovere fuhr ganz große Geschütze auf: Staatsanwalt Mandati verteidige das »Krankenhaus der Hundert Toten«, da es als einziges in der Gegend Abtreibungsärzte beschäftige, weil er ein Feind des Lebens sei

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