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Richter

Richter

Titel: Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Ciancarlo de u Lucarelli Andrea u Cataldo Cammilleri
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und ein Verfechter des moralischen Niedergangs der Gesellschaft. Die Bischöfe hatten sich eingeschaltet, die Nonnen (denen die Führung der vier Vertragskliniken oblag) und ein paar Untersekretäre. Ottavio wurde vor den oberen Gerichtsausschuss zitiert. Dass dieser kein Disziplinarverfahren gegen ihn eröffnete, kommentierte Pierfiliberto nur lapidar mit dem legendären, vom getreuen Tafano Tafàni übermittelten Satz: »Ja, ja, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus ...«
    Noch Jahre später fuhren er, Teresa und Lucio, wenn sie zum Beispiel eine Laboruntersuchung benötigten, die achtzig Kilometer, um bloß den Fuß nicht auf Feindesland setzen zu müssen.
    Endlich teilte der Chefarzt mit, der illustre Patient sei bereit, sie zu empfangen: »Aber macht ihm keinen Stress, ja? Es hat ihm übel mitgespielt ...«
    »Was? Dem? Madonna ...«
    Ottavio brachte Pistola mit einem gebieterischen Blick zum Schweigen, dann betraten sie, vom Chefarzt geleitet, den Berazzi-Perdicò-Pavillon (nur falls jemand vergessen haben sollte, wer in Novere das Sagen hatte).
    Pierfiliberto saß tief in einem weichen Sessel versunken, in Jacke und Krawatte, die rosigen Wangen säuberlich rasiert, das nervige Grinsen des ewigen Jugendlichen, das seine Wähler so unwiderstehlich fanden, fest im Gesicht verankert.
    »Guten Tag, Herr Bürgermeister.«
    »Wie wär’s, du entspannst dich mal ein bisschen, Ottá? Diesmal stehen wir auf derselben Seite! Ich bin das Opfer! Und du musst herausfinden, wer die verfluchten Bastarde waren, die mir an den Hals wollten.«
    Die kleine Ansprache war die x-te Variante eines Themas, das Pierfiliberto seit Anbeginn ihrer Bekanntschaft keine Ruhe gelassen hatte:
    »Aber warum können wir beide nicht einfach Freunde sein, Ottavio?«

5.
    Z um ersten Mal hatte Pierfiliberto ihm die Hand ausgerechnet zum Ende des Schuljahres 1966/67 reichen wollen.
    »Nichts für ungut, ich hab dir diesen kleinen Streich gespielt mit der Wahl zum Klassensprecher, aber egal, war doch nur ein Scherz. Sollen wir nicht Freunde sein, was meinst du?«
    Weitere Angebote hatte es in den folgenden Jahren geregnet, so auch in der Mittelschule, verbunden mit dem Vorschlag, einen schwungvollen Handel mit Gebäckteilchen anzufangen:
    »Wir treffen uns um halb acht in Francos Bar und kaufen sämtliche Teilchen zu sechzig Lire auf. Dann nehmen wir sie in die Schule mit und verkaufen sie zu siebzig. Wenn man rechnet, dass in der Mazzini-Mittelschule fünf Abteilungen zu je fünf Klassen sind, und angenommen, jede Klasse hat im Durchschnitt fünfundzwanzig Schüler, dann ergibt das sechshundertfünfundzwanzig Stück. Bei zehn Lire Verdienst pro Teilchen macht das netto sechstausendzweihundertfünfzig. Jetzt ziehst du die Kranken und die anderen, die fehlen, ab, außerdem die mit blöden Eltern, die ihnen zu Hause ihrPausenbrot schmieren, so, dann sind wir immer noch bei netto fünftausend. Durch zwei macht das zweitausendfünfhundert pro Nase. Wie findest du das? Nicht schlecht, oder? Mach dir mal ein Bild, was du dir für zweitausendfünfhundert pro Tag alles kaufen könntest! Das sind fast fünfzigtausend im Monat. He, das ist kein Pappenstiel, hast du eine Ahnung, was ein Pedell verdient, Ottá, hast du eine Ahnung?«
    Es versteht sich von selbst, dass er ihn zum Teufel geschickt hatte. Dieser schwungvolle Handel mit noch ausgetüftelteren Varianten (montags verkaufte die Pasticceria Torquato aus dem nahen Örtchen Sant’Anselmo i Tre Pizzi ihre sonntäglichen Reste) wurde dann schließlich mit ebendem Pedell Santissimi aufgezogen, der wegen seiner sprichwörtlichen Raffsucht den Spitznamen Gierschlund trug.
    Im humanistischen Pisacane-Gymnasium, dem einzigen der Stadt – für Bürgersöhne wie Pierfiliberto und Ottavio kam nichts anderes infrage –, unterbreitete er ihm den nächsten derartigen Vorschlag.
    »Du weißt doch, Teodorico, der Latein- und Griechisch-Hilfslehrer? Der mit dem langen Bart, der immer nach Fisch riecht und sich für einen Dichter hält? Dichter, muss man sich mal vorstellen! Also, dieser Teodorico ist zwar ein Hungerleider, aber er hat gute Verbindungen zur Schulleitung. Offenbar legt er die Mantegazza flach, weißt schon, die Geschi-Tante mit den Riesenmöpsen ... Egal, für Geld würde Teodorico seine Mutter verkaufen! So, und jetzt pass auf: Er weiß, was für Übersetzungsaufgaben wir am nächsten Morgen kriegen. AmNachmittag davor schon, verstehst du? Da hab ich mir gedacht: Teodorico macht uns eine

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