Richter
Anschlag auf sein Leben. Es geschah am vierten Tag nach dem missglückten Vergiftungsversuch. Der Bürgermeister hatte sich in die Nähe des Stausees Bella Novere begeben, an den Rand des Waldes von San Lampediano, um dort offiziell die Jagdsaison zu eröffnen: Die Jäger mit Zwillingsbüchse, zahlreich in der Gegend ansässig, machten einen beträchtlichen Teil seiner Wählerschaft aus. Der Vorsitzende des örtlichen Jagdvereins, bekannt dafür, dass er eine gelehrte Schrift unter dem Titel Ursprünge der Noveresischen Drückjagd hatte drucken lassen, hatte ihm ein besonders für die Wildschweinjagd geeignetes Hochpräzisionsgewehr der Marke Browning Bar Stalk Synthetic, Kaliber 30-06 geschenkt. Genau in dem Augenblick, als Pierfiliberto sich bückte, um das Teleskopzielfernrohr der Waffe zu untersuchen, zischten zwei Geschosse Kaliber 7.65 haarscharf an seiner linken Schläfe vorbei.
Sofort war die Menschenjagd eröffnet, und der Wald von San Lampediano wurde von einer wütenden Mengedurchstreift. Hinter jeder einzelnen Lärche, jeder einzelnen Zeder meinte man einen Schatten zu erspähen, im Bachgrund, im dichten Laubwerk, in den Hochsitzen, entlang der talwärts oder gen Novere verlaufenden Pfade. Der Spurensicherung, innerhalb von fünfundzwanzig Minuten vor Ort, bot sich ein beeindruckendes Schauspiel. Die wackeren Jäger von Novere hatten nicht weniger als fünfhundert Schüsse von jedem Kaliber, Typ und Format abgefeuert. Jede einzelne nur denkbare Spur war vom Gelände getilgt, zertrampelt von hunderten ziellos herumirrenden Füßen. Ein dicklicher Typ, der Buchhalter Parascalchi-Parata aus Villerbosa, hielt sich blökend das blutende Knie und verfluchte rückhaltlos (und das als praktizierender Katholik) einen groß gewachsenen, dürren Kerl, der neben ihm stand und verlegen seine Beretta-Doppelflinte in den Händen drehte. Cavalier Finuoli-Finamore aus Salaperta di Mezzo hatte seinen alten Jagdkameraden für den Attentäter gehalten und dementsprechend gehandelt. Die einzige verlässliche Spur bestand in der Beobachtung einer alten Bäuerin, die, während sie draußen ihre Gänse fütterte, fast von einem auberginenfarbenen Mini Minor über den Haufen gefahren worden wäre. Am Steuer, so berichtete die Alte, saß ein junger Mann mit langen Haaren und wirrem Bart. Die brave Frau erinnerte sich sogar an die ersten Stellen des Nummernschildes: NO 36 ...
Die Presse feuerte los. Einziges Ziel: Staatsanwalt Ottavio Mandati. Teresa und Lucio boten an, nach Novere zurückzukommen, was Ottavio ritterlich ausschlug(oh, Cincinnato, oh, das selbstgefällige Selbstmitleid!). Seine Frau informierte ihn, dass Lucio ein Stipendium für ein Studienjahr in Edinburgh erhalten hatte. In der ersten Reihe seiner Angreifer kämpfte neben dem allzu vorhersehbaren Tafano Tafàni eine Tageszeitung namens Der Blitz von Pietrasanta .
Hier fand sich in einem Artikel aus der Feder eines gewissen Marco Sgambazzi die lautstarke Forderung, man möge unverzüglich Staatsanwalt Ottavio Mandati festnehmen, der beschuldigt wurde, der heimliche Auftraggeber der Anschläge zu sein. Mein Gott, was hatte er diesem Sgambazzi nur angetan? Dann stieg ganz langsam tief aus seinem Gedächtnis eine Erinnerung empor: Versilia-Sgambazzi. Natürlich! Nach dem dritten oder vierten geplatzten Prozess, er wusste es nicht mehr genau, hatte dieser Sgambazzi, seinerzeit Reporter beim Eco di Novere den Mut zu einem ironischen Kommentar besessen: Entweder ist Commendatore Berazzi-Perdicò der größte Pechvogel der Welt, denn die schlimmsten Halsabschneider wählen ihn unfehlbar als politisches und geschäftliches Vorbild, oder er ist ein armer Kerl, der es nicht versteht, seine Berater richtig zu wählen. Sgambazzis Karriere war dann unvermittelt abgebrochen. Eine Zeitlang später hatte der junge Mann ihm eine kleinlaute Nachricht geschickt; er war jetzt Verkäufer in einer Frittenbude in Versilia. Ottavio hatte ihm als Antwort einen aufmunternden Brief geschickt und ein wenig Geld dazugesteckt. Jetzt war Sgambazzi wieder auf der Bildfläche erschienen, aber diesmal auf der richtigen Seite. Zu allem bereit, um für seine Jugendsündezu büßen. Kurz gesagt, es sah nicht gerade gut für Ottavio aus. Da tauchten genau sieben Tage nach dem letzten Mordversuch Bardolfo und Pistola in Mandatis Büro auf, beladen mit Fotos, Filmen, Notizen und technischen Diagrammen.
»Es gibt keine Brigate Novere libera.«
»Oder besser: Sie besteht aus einer einzigen
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