Richter
Und würde denjenigen hassen, der sie mir verweigert und mich mit meiner Verzweiflung allein lässt?
»Ich bin nicht wie du«, sagt er schließlich zu Pierfiliberto. Nunc et semper Cincinnatus .
Er bestellt Kaffee für alle.
»Pierfiliberto, kennst du eine gute betreute Wohngemeinschaft zur Drogentherapie?«
»Natürlich.«
»Bring deinen Jungen dorthin.«
»Wann?«
»Sofort.«
»Ich ... danke ... Ich weiß nicht, wie ...«
Am selben Abend bittet er den Voruntersuchungsrichter, Terenzios Namen aus der Hauptermittlung zu streichen. Nach ein paar Wochen werden die Unterlagen zur persönlichen Verfügung archiviert.
Ein Jahr später erreicht ihn eine Postkarte aus Rotterdam, wo Terenzio jetzt Seerecht studiert. Er ist clean und will Ottavio sagen, dass er weiß, wie viel er ihm zu verdanken hat.
Und jetzt das. Und als Dreingabe Teresas Skepsis (der hat dich schon einmal hintergangen, du bist zu sanftmütig für diese Welt, Liebling) und die enttäuscht-erbosten Blicke von Bardolfo und Pistola.
Und jetzt das. Er hatte sein damaliges Verhalten nie bereut. Und jetzt das.»Diesmal nicht, Pierfiliberto. Heute gelten andere Regeln. Wir spielen nach meinen Vorgaben.«
Der Bürgermeister warf einen zerstreuten Blick in die Akte, lauschte ohne die geringste Regung dem Bericht der Carabinieri, zuckte seufzend mit den Schultern.
»Bist du fertig, Ottá?«
»Dein Sohn interessiert mich nicht, der ist nur ein armer Verrückter. Lass ihn behandeln, vielleicht hat er eine Chance. Mich interessierst du.«
»Weißt du was? Das hab ich mir gedacht.«
»Du bist das Krebsgeschwür dieser Stadt, Pierfiliberto. Solange du hier das Kommando hast, gibt es für die Menschen von Novere keine Zukunft.«
»Zukunft? Und du denkst, die Zukunft schert die Leute einen Scheiß? Denkst du, wenn die Leute imstande wären zu denken, einfach nur an die Zukunft zu denken, dass sie mich dann gewählt hätten? Ach komm, Ottavio!«
»Schluss mit dem Gerede. Ich bin hier, um dir einen Pakt vorzuschlagen.«
»Einen Pakt! Hast du nicht selbst gesagt, Richter schließen keine Pakte mit Verbrechern?«
»Ich habe meine Meinung geändert, in Ordnung?«
»Das wäre das erste Mal im Leben, dass du ein Minimum an Vernunft zeigst.«
»Willst du, dass dein Sohn den Rest seiner Tage in der Gefängnispsychiatrie zubringt?«
»Ich höre.«
»Lassen wir Terenzio aus dieser Sache heraus.«
»Und die Bombe? Das Gift? Die Schüsse?«
»Einstellung des Verfahrens, da Urheber unbekannt.«
»Hm ... Und was verlangst du dafür?«
»Terenzio, der Ärmste, geht in die Psychiatrie. Und du ...«
»Und ich?«
»Du trittst von allen Ämtern zurück, verkaufst deinen Besitz, das heißt, nein, du stiftest ihn der Gemeinde, dem Ministerium, einer Nichtregierungsorganisation deiner Wahl ... und verschwindest für immer.«
»Weißt du was, Ottavio?«, lachte Pierfiliberto. »Du hast noch nie auch nur das kleinste bisschen kapiert. Kein Wunder, dass du Beamter geworden bist. Schau mal, damals, das war die Chance deines Lebens, und du hast sie vorüberziehen lassen. Damals wäre ich tatsächlich zu allem bereit gewesen, um den Jungen zu retten: Aber das waren andere Zeiten. Ich war noch nicht ... wie soll ich sagen? So selbstsicher? Du warst jedenfalls immer zu blöd, um zu begreifen, wie die Dinge stehen. Mit anderen Worten, diesmal bist du geliefert, mein Lieber!«
Pierfiliberto klatschte in die Hände, mit jenem theatralisch-verführerischen Schwung, den Ottavio nur zu gut kannte. Eine Tür ging auf. Terenzio kam herein. Perfekt rasiert, lächelnd, elegant in graues Tuch gekleidet.
»Hast du mitgehört, mein Junge?«
»Alles, Vater.«
»Und ihr auch?«
Bardolfo und Pistola nickten.
»Gut«, lächelte Pierfiliberto. »Und jetzt die Papiere.«
Bardolfo und Pistola ließen synchron die Schlösser ihrer Aktenkoffer aufschnappen (seltsam, dachte Ottavio,ich hab gar nicht mitbekommen, dass sie die dabeihatten ...) und reichten dem Staatsanwalt zwei rosa Aktendeckel.
»Nun, Ottavio, schau mal, was ich dir für einen hübschen kleinen Streich gespielt habe. Wie damals in der Schule, weißt du noch? Auch da warst du so siegesgewiss ...«
Aus den Aktendeckeln rutschten Polaroidfotos heraus. Mit zitternder Hand fing Ottavio sie auf. Klick. Der Staatsanwalt plaziert eine Bombe unter Pierfilibertos Lexus. Klick. Der Staatsanwalt injiziert mit einer Spritze Gift in ein Cannolo. Klick. Der Staatsanwalt setzt eine Perücke auf und klebt sich einen falschen Bart an,
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