Richter
Der hatte sich ja viel vorgenommen, der Herr Anwalt! Allerdings konnte man ihn verstehen: Der gesamte Prozess beruhte auf den abgehörten Telefonaten. Ohne sie war das Verfahren gestorben. Die Anwälte versuchten das immer, auch die im Parlament, viele von denen, die mächtig genug waren und, mit dem Volksmund gesprochen, genug Eier in der Hose hatten. Die Mitschnitte waren ihnen seit eh und je ein Dorn im Auge. Wenn sie gut gemacht sind, können diese Mitschnitte viel enthüllen, manchmal alles. In diesem Fall ein schwindelerregendes System aus Schmiergeldzahlungen im Zusammenhang mit den öffentlichen Aufträgen zur Müllentsorgung in der gesamten Provinz. Der Löwenanteil ging an Berazzi-Perdicò. Ein neapolitanischer Unternehmer sagte in einem vertraulichen Moment zu seinem Genossen: Verdammte Scheiße, wie viel will der noch einsacken? Ein anderer hatte sich durch Dutzende von Vertragshändlern in ganz Nordostitalien durchtelefonieren müssen, um einen Lexus von dem Typ, dem Modell und der Farbe aufzutreiben, die dem Herrn Bürgermeister genehm waren. Ja, der Lexus, dachte Ottavio lächelnd, der in seinem Traum in die Luft geflogen war ... Der Appetit des Bürgermeisters war sogar bei seinen Komplizen legendär.
Mit anderen Worten: Ohne Mitschnitte keine Gerechtigkeit. Darum waren sie den Anwälten so verhasst. Und darum setzte Ottavio die Verfügungen immer derart sorgfältig auf, sämtliche Regeln beachtend, ohne der Verteidigung einen Schlupfwinkel zu lassen. Der Schlüssel zum Ganzen lag in der Begründung. Es galt, genauzu erläutern, warum XY abgehört werden musste, und auch, welches Gerät man dazu verwendete statt eines anderen. Details, freilich. Aber sie machten den Unterschied aus. Ottavio fühlte sich seiner Sache bombensicher.
»Unserer Ansicht nach fehlt auf dem Formblatt zur Genehmigung die Begründung im Sinne von Artikel 268 der Prozessordnung ...«
Avvocato Appella trat zum Richterstuhl und händigte der Vorsitzenden ein DIN-A4-Blatt aus. Die Richterin studierte es. Ottavio schloss die Augen. Nur ein paar Sekunden, das war eine Entscheidung, die man, wie man so sagt, im Handumdrehen trifft, und die Kollegin würde den Einspruch zurückweisen.
»Herr Staatsanwalt, würden Sie bitte einmal kurz schauen ...«
Sie macht ein bisschen Theater, versuchte Ottavio sich einzureden, während er neben Appella trat, der stocksteif vor dem Richterstuhl stand.
»Was ist das hier für ein Wisch, Ottavio?«
»Na ... die Anordnung für ... das Abhören ...?«
»Aber hast du das hier geschrieben?«
Eine böse Vorahnung beschlich ihn. Ottavio überflog das Formular. Ein Vordruck ohne jeglichen Wert. »... wird die Abhörung folgender Nummern angeordnet ...«
Darauf sofort die Liste. Keinerlei Begründung. Das war absolut nicht sein Stil.
»Das ist nicht von mir«, erklärte er und gab das Blatt seiner Kollegin zurück.
»Irgendein Vertreter also?«
»Nein, ich hatte mich persönlich darum gekümmert.«
»In der Tat, Frau Vorsitzende«, flötete Appella, »wie Sie sehen können, trägt das Formular die Unterschrift von Staatsanwalt Mandati.«
»Aber so, wie es jetzt gefasst ist, enthält dieses Dokument nicht mal den Schatten einer Begründung«, seufzte die Richterin, aufrichtiges Bedauern in der Stimme. Dann, noch leiser: »Angesichts dessen sind die Mitschnitte in keiner Weise gerichtstauglich.«
Kalter Schweiß lief ihm den Rücken hinunter. Er hatte dieses verfluchte Formular nicht ausgefüllt. Das war ein Trick. Eine Fälschung. Eine grobe Fälschung.
»Ich weiß nicht, woher der Herr Anwalt dieses Dokument haben will«, zischte er wutentbrannt, »und ich erlaube mir, jetzt schon Zweifel an der Echtheit anzumelden ...«
»Frau Vorsitzende!«, begehrte Appella auf. »Ich verwehre mich entschieden ...«
»Sei doch still!«, fuhr Ottavio ihm über den Mund, unter dem verblüfften Blick seiner Kollegin. »Ich werd sie dir geben, meine Anordnung!«
Er ging zu seiner Bank. Das Original. Er musste das Original finden. Er wusste genau, wo er es hingesteckt hatte ... Er blätterte in den Papieren, fand das gesuchte Blatt, da war es, und ... Das war doch nicht möglich! Das hier war der eigentliche Albtraum! Auch das Original, das er immer bei sich gehabt hatte, in seinem Büro verwahrt, in einem Schrank, zu dem nur er allein den Schlüssel hatte, auch dieses war ein wertloses Stück Papier ... Ein Stück Papier ohne jeden Sinn ...
»Nun, Herr Staatsanwalt?«
Er sah sich um und begegnete
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