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Rico, Oskar und das Herzgebreche

Rico, Oskar und das Herzgebreche

Titel: Rico, Oskar und das Herzgebreche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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Spaß?«
    Â»Er hat es an den Nerven«, sagte ich und spurtete ebenfalls los.
    Â»Und ich hab’s am Herzen!«, schrie Fitzke mir nach. »Ihr zwei, drei Uhr, vierter Stock, verstanden? Plätzchen und Saft!«
    Meine Schritte echoten seine Worte auf dem Kopfsteinpflaster, zwei, drei, vier … zwei, drei, vier … Irgendwie passte es zu diesem Tag, dass vorne die Eins fehlte.

    Bei der Fußgängerampel an der Grimmstraße holte ich Oskar fast ein, aber dann schaltete die Ampel von Grün auf Rot. Vor den Altglas-Containern, wo wir uns vor ein paar Wochen kennengelernt haben, sah ich ihn auf den Spielplatz abbiegen. Als wieder grün wurde, eilte ich ihm nach. Er saß im Schatten der Bäume, auf einer der Bänke vor dem langen Drahtzaun vom Spielplatz.
    Ich setzte mich neben ihn. Hinter dem Zaun wimmelte es von Dötzeken mit ihren Müttern und ein paar Vätern. Sonnenlicht fiel durch das Laub der Bäume und malte Schatten auf wippende Kinderwagen. Schippchen und Spaten stachen und wühlten in den Sandkästen, Kuchen wurden mit bunten Förmchen gebacken, kleine Karussells drehten sich im Kreis. Ein Junge hatte sich komplett in den Seilen am Klettergerüst verheddert und heulte, während seine schimpfende Mutter ihm heraushalf; zwei Mädchen ließen sich kopfüber von den Turnstangen baumeln und ihre Röcke fielen ihnen fast gleichzeitig über die Bäuche und Gesichter. Es war ein einziges Gekreische und Geschrei und Gejohle, richtig toll und lebendig, aber neben mir saß Oskar, versteinert unter grauem Gefühl.
    Â»Ich will nicht mal so einer werden«, sagte er tonlos.
    Â»So einer wie Fitzke?«
    Â»Einer wie alle Erwachsenen. Irgendwas stimmt mit denen nicht.« Er zog die Knie vor die Brust und umklammerte sie mit den Armen. »Es ist, als wäre in der Pubertät oder beim Älterwerden was in ihnen kaputtgegangen. Als hätten sie Risse oder Sprünge gekriegt, durch die alle Farbe aus ihnen rausgeflossen ist, bis nur noch Schwarz und Weiß übrig war.«
    Eine Weile lang betrachteten wir schweigend das Gewusel auf dem Spielplatz. Ich schaute mir die Mütter und Väter genauer an, aber sie sahen alle heile aus, jedenfalls von außen. Dann beobachtete ich die spielenden Dötzeken, die alle irgendwann größer und älter sein würden. Ich kniff die Augen zusammen, aber es war nicht zu erkennen, ob sie innen drin womöglich schon erste Sprünge und Risse hatten.
    PUBERTÄT : Die kommt von Hormonen, kleinen chemischen Dingern, die im Körper herumschießen und ihn verändern. Jungen kriegen davon eine neue Stimme und einen größeren Puller. Mädchen kriegen einen großen Busen und ein eigenes Handy. Womöglich entstehen die Risse und Sprünge, wenn ein Hormon danebenballert.
    Ich bin vielleicht kein Superhirn, aber mir war klar, dass Oskar an einen ganz bestimmten kaputten Erwachsenen dachte.
    Â»Nur weil dein Papa spinnt«, sagte ich langsam, »spinnen doch nicht alle Erwachsenen. Ein paar sind ganz in Ordnung und gar nicht schwarz-weiß. Der Wehmeyer zum Beispiel. Frau Dahling und Berts und Jule. Der Bühl.«
    Eigentlich, fand ich, waren das schon sehr viele, auch wenn man bei Frau Dahling ein bisschen Farbe abziehen musste, wegen dem grauen Gefühl, und beim Bühl wegen der fehlenden Ansichtskarte aus der Urlaubssondererholung. Wieder verging etwas Zeit. Spatzen jagten sich tschilpend in den Bäumen. Der kleine Junge, der eben noch geheult hatte, saß bei seiner Mutter, die ihn eben noch geschimpft hatte, auf dem Schoß. Seine Augen waren ganz müde. Ich wusste genau, wie gut es sich anfühlte, so angekuschelt zu sitzen.
    Â»Und natürlich meine Mama«, fügte ich hinzu und lehnte mich zufrieden zurück. »Mama ist am ordnungsten von allen. Findest du nicht?«
    Neben mir nahm Oskar die Sonnenbrille ab und legte sie sorgfältig neben sich auf die andere Seite der Bank. Dann bewegten sich seine Lippen.
    Â»Rico?«
    Â»Hm?«
    Â»Ich hab gestern Abend gesehen, wie sie die Kreuzchen gemacht hat. Auf ihrem Bingozettel.«
    Es war ein ganz harmloser Satz. Aber Oskar hatte ihn irgendwie so ausgesprochen, dass er überhaupt nicht harmlos klang. Plötzlich hatte ich ein Gefühl im Bauch, als wühlten große, kalte Hände darin herum. »Die Kreuzchen stimmten nicht mit den Zahlen überein, die gezogen wurden«, sprach er ruhig

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