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Rico, Oskar und das Herzgebreche

Rico, Oskar und das Herzgebreche

Titel: Rico, Oskar und das Herzgebreche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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Oberlippe war verschmiert von Tränen.

    Manchmal fühlt Traurigkeit sich so an wie schwere graue Tropfen, die einem direkt ins Herz oder auf die Seele regnen. Man kann sich kaum vorstellen, dass Traurigkeit auch unter einem blauen Himmel mit weißen Wölkchen funktioniert, in einer Straße voller hoher grüner Bäume mit schöner Pellerinde, wo jede Menge gut gelaunter Leute herumspazieren oder vor den Cafés und Restaurants sitzen. Tut sie aber.
    Oskar trabte schweigend neben mir her. Mama hatte uns mit einer kilometerlangen Einkaufsliste zum Edeka-Laden losgeschickt, weil sie ja jetzt wer weiß wie lange für drei sorgen musste. Außerdem durfte Oskar sich was Leckeres zum Trost für seinen abgehauenen Vater aussuchen. Ich hatte Angst, dass er sofort wieder zu weinen anfing, wenn ich was Falsches sagte, vor allem, wenn Eltern darin vorkamen, also sagte ich lieber gar nichts. Vielleicht reichte es vorläufig, wenn ich ein guter Berater für sein tröstliches Essen war.
    Wir wollten gerade zu Edeka rein – man muss zwei schmale Treppenstufen rauf, zwischen Gemüse und Blumen und Klopapier in der Familienpackung hindurch –, als uns ein gepflegter älterer Herr aus dem Laden entgegenkam. Ichwollte mich achtlos an ihm vorbeidrücken, aber Oskar blieb so plötzlich stehen, dass der Ruck ihm fast die Sonnenbrille von der Nase haute. Dann erkannte ich den Mann auch. Ich hörte mich selber überrascht keuchen.
    Â»Herr Fitzke!«
    Er sah aus wie ein neuer Mensch. Seine Haare, die ihm sonst in alle Richtungen vom Kopf abstehen, waren gewaschen und frisiert. Ich entdeckte keine einzige Bartstoppel in dem verknitterten Gesicht. Außerdem trug Fitzke einen Anzug und nicht wie sonst, wenn er das Haus verließ, seinen miefigen gestreiften Pyjama. Das graue Jackett war etwas abgewetzt an den Ärmeln, aber blitzsauber. Und falls die Hose müffelte, dann auf jeden Fall nicht in unsere Richtung.
    Â»Tach, Doretti.«
    Ich konnte es nicht glauben. Normalerweise nennt er mich Schwachkopf. Normalerweise spricht er mit so knurriger Stimme, als sollte jedes einzelne Wort einem in den Hintern beißen. Normalerweise lächelt Fitzke auch nicht, aber jetzt verzog er die Mundwinkel millimeterweise nach oben, als hätte ihm jemand erklärt, wie ein Lächeln in etwa aussieht, wenn man lange genug übt.
    Â»Plätzchen und Saft«, sagte er und hob seine Einkaufstasche hoch. »Mehr gibt’s nachher nicht, ich will also kein Gemecker hören. Drei Uhr bei mir.«
    Ich konnte ihn nur anstarren.
    Â»Nun glotz nicht so dämlich!« Er zeigte neben mich, als wäre da soeben zufällig irgendwas vom Himmel auf den Gehsteig gestürzt oder aus den Ritzen zwischen den Pflastersteinen rausgewachsen. »Den da kannst du mitbringen.«
    Â»Der da heißt Oskar«, sagte ich.
    Â»Weiß ich«, schnappte Fitzke, »stand ja in jeder Zeitung! Außerdem sind wir uns schon mal begegnet, im Treppenhaus.« Jetzt sah er Oskar direkt an. »Du bist der kleine Scheißer aus der Klapsmühle, der meine Tür einschlagen wollte. Wo ist dein Sturzhelm?«
    Â»Zu Hause gelassen«, murmelte Oskar.
    Â»Was? Zieh die Brille ab, sonst kann ich dich nicht hören.«
    Oskar schob wortlos die Brille ein Stück hoch. Seine grünen Augen waren so traurig und trübe wie ein Teich voller Algen. Normalerweise hätte er sich solche Frechheiten niemals gefallen lassen. Mir fiel leider auch nichts Passendes ein, weil in meinem Kopf seit einer Minute die Bingotrommel durchdrehte. Fitzke war Fitzke, aber er war auch wieder nicht Fitzke.
    Â»Du Knalltüte, das war ein Scherz!«, blaffte Fitzke. »Setz die Brille wieder auf. Runterfallen kann sie ja wohl kaum, bei den Ohren.«
    Â»Jemanden wie Sie besuche ich nicht.« Oskars Stimme wackelte. Seine Finger bewegten sich zu seinen Seiten, als suchten sie etwas, worauf sie herumtrommeln konnten. »Sie sind bösartig.«
    Jetzt wackelte auch noch sein Kinn. Im nächsten Moment drehte er sich um und stürmte über die Querstraße davon, die Dieffe runter. Er schaute nicht mal nach links oder rechts oder andersrum.
    Fitzke reckte den Kopf und sah ihm nach. Von unten konnte ich ihm genau in die Nasenlöcher gucken. Es hingen lange Härchen raus, die er bei der Körperpflege wohl übersehen hatte. »Was ist los mit dem?«, schnaubte er. »Verträgt der keinen

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