Rico, Oskar und das Herzgebreche
Urzeitmensch, in einer Höhle mit düsteren Tapeten, voller Müll und Steine.
»Nach was siehtâs denn aus?«, sagte Fitzke mit stolzer Stimme.
»Es sieht danach aus«, antwortete Oskar, »als wären Sie schon vor langer Zeit völlig übergeschnappt. Als Sie damals meinten, ich wäre wohl einer aus der Klapsmühle, haben Sie projiziert.«
Wegen der ersten Hälfte hielt ich vor Schreck die Luft an. Wegen der zweiten Hälfte musste ich später Oskar fragen, was es bedeutete.
PROJIZIEREN : Wenn man jemanden wegen etwas doof findet, das man eigentlich an sich selber doof findet, was man aber nie zugeben würde. Das ist Psychologie. Man kann sich auch dauernd am Kopf kratzen, obwohl es nicht juckt, oder es juckt dauernd, aber man kratzt sich nicht. Das ist auch Psychologie, mit einem an der Waffel.
»Du nimmst gefälligst erst mal die Sonnenbrille ab, bevor du so frech mit mir redest«, schnaubte Fitzke.
»Sie leben in besorgniserregenden hygienischen Verhältnissen«, überging Oskar die Aufforderung, als hätte er sie gar nicht gehört. »In den Entwicklungsländern ist mangelnde Hygiene eine der häufigsten Krankheitsursachen. Sie sollten dankbar sein, dass es bei uns flieÃendes warmes Wasser und â«
»Hast du mir alles schon mal erzählt, Schlaumeier«, unterbrach Fitzke ihn mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Wennâs stimmte, wäre ich längst tot. Aber da du so schlau bist, kannst du sicher auch erklären, was das hier ist!«
Jetzt machte seine Hand eine neue Bewegung, als wollte sie alle Steine aus der ganzen Wohnung einsammeln â Steine, die allesamt paarweise beisammenlagen, wie ich jetzt bemerkte. Immer zwei beieinander â¦
»Es ist ⦠mehr als nur eine Sammlung, stimmtâs?«, sagte ich ruhig. Und mit ruhig meine ich ruhig. Irgendwie schafften es die in der dämmerigen Wohnung herumliegenden Steine, dass ich das Gefühl hatte, als wäre an meiner Bingotrommel der Motor ausgefallen. In meinem Kopf war es so leer und so still wie beim Blick über einen weiten See, ganz früh morgens, wenn Nebel auf dem grauen, papierglatten Wasser liegt.
»Da siehste, Schlaumeier.« Fitzke wedelte Oskar mit einem knorrigen Finger unter der Nase herum. »Der Doretti kriegtâs besser hin als du!«
»Mehr als eine Sammlung?«, wiederholte Oskar und sah fragend von Fitzke zu mir. »Was ist es denn?«
»Es ist eine Steinzucht«, sagte ich leise. »Stimmtâs, Herr Fitzke?«
Fitzke presste bloà die Lippen aufeinander und nickte, aber er sah dabei irgendwie triumphierend aus. Als hätte er den Beweis für etwas gekriegt, auf das er bis gerade eben noch gewartet hatte.
Oskar nahm die Sonnenbrille ab, als hätte er ebenfalls einen Beweis für etwas gekriegt â nämlich dafür, dass Fitzke nicht nur einen an der Waffel hatte, sondern die Waffel auch total angebrannt war. Vermutlich sprach er deshalb plötzlich nur noch so vorsichtig mit ihm wie mit einem kleinen Kind, das gerade einen Finger in die Steckdose stecken will, um Ich bin ein Föhn oder Ich bin ein Toaster zu spielen.
»Wann haben Sie denn mit dem Sammeln angefangen?«, sagte Oskar. »Und wann mit der Steinzucht?«
»Schon als Kind, nach dem Tod meiner Eltern.«
»Sind die im Krieg gestorben?«
»Die Mutter im Bombenhagel damals«, antwortete Fitzke ungerührt. »Der Vater kurz vorher schon, Lungenentzündung. Ich kam zu einem Onkel, kein freundlicher Mensch, aber immerhin vererbte er mir seine Steine. Als junger Mann war ich dann ständig allein unterwegs, jahrelang, um weitere Objekte zu sammeln.«
»Was für Objekte?«, sagte ich.
Fitzke verdrehte die Augen. »Junge, Junge! Wann hast du eigentlich gemerkt, dass du ein bisschen schwach in der Birne bist?«
Oskar zeigte stirnrunzelnd auf zwei Steine, die vor dem Schrank lagen. »Der linke da ist ein Zirkon«, sagte er. »Der rechte irgendein Quarz. Was soll dabei rauskommen, wenn sie die nebeneinanderlegen? Erdgeschichtlich betrachtet sind die Hunderte von Millionen Jahren auseinander entstanden.«
Fitzke zog eine Augenbraue hoch. »Kennst dich wohl aus, was?«
»Nur ein wenig.«
»Trotzdem alles Wischiwaschi, dummes Gerede!«, schmetterte Fitzke den Einwurf ab. »Wissenschaftlicher Mumpitz, den kein Steinzüchter ernst nimmt! Du musst ein Gefühl
Weitere Kostenlose Bücher