Rico, Oskar und das Herzgebreche
Mir wurde ganz anders vor Appetitlichkeit. Wenn ich nicht aufpasste, würde mir gleich der Sabber aus dem Mund laufen.
»Langt schon mal zu«, sagte Frau Dahling. »Nachher gibtâsnoch Schokoladenpudding. Ich hol mir âne Pulle Sekt aus dem Kühlschrank.«
»Vielen Dank für die Einladung«, rief Oskar ihr nach. Bis jetzt hatte ich befürchtet, er würde von seinem gesunden Biokrempel anfangen und Frau Dahling den Spaà verderben â sie ist doch so gern kümmerig und sie hatte sich solche Mühe gemacht. Aber er setzte das Bärchen bloà sorgfältig aufs Sofa, und schon im nächsten Moment hing ihm ein Stück gerollte Salami aus dem Mund, an seinen Fingern klebte Mayonnaise, und falls überhaupt irgendeine Gefahr bestand, dann nur die, dass er demnächst platzte. Die Geschwindigkeit, mit der er sich durch die Müffelchen fraÃ, war jedenfalls beängstigend. Mir wurde ein bisschen bange um den Schokopudding.
»Was gibtâs denn überhaupt zu feiern?«, wollte ich wissen, als Frau Dahling, die Flasche Sekt unterm Arm, zurückkam.
»Die Scheidung von meinem Mann ist durch«, sagte sie.
»Durch was?«
»Sagt man so. Es bedeutet, dass ich ihn endlich los bin.« Â
Ich schnappte mir ein Müffelchen. Es war Lachs drauf, ein Tupfer Meerrettichsahne und eine winzige Grünpflanzenköstlichkeit als Krönung. Neben mir ploppte der Sektkorken.
»Ich dachte«, sagte ich kauend, »dass Sie traurig wären wegen Ihrem Mann. Weil er nicht bei Ihnen bleiben wollte.« Â
»Da dachtest du richtig. Anfangs war ich völlig resigniert.«
Ich hörte auf zu kauen. Oskar, ein Leberwurstschnittchen in der einen Hand und in der anderen eins mit Käse undeiner halben Weintraube drauf, murmelte nur rasch: »Erkläre ich dir später.«
»Aber irgendwann warâs dann auch mal gut mit der Traurigkeit.« Frau Dahling goss sich Sekt ein. »Ihr wisst ja, wie das ist ⦠Ach, was rede ich, ihr wisst es natürlich nicht, dafür seid ihr noch zu jung.«
»Aber nicht zu dumm«, sagte Oskar mit vollem Mund. »Wie ist es denn?«
»Na ja â¦Â« Sie roch kurz genieÃerisch an dem Glas, dann überlegte sie. »Also, du verlierst jemanden und denkst, dass es ohne ihn nicht geht. Dann merkst du irgendwann, dass es doch geht. Und zuletzt fragst du dich, ob es dir ohne ihn nicht sowieso die ganze Zeit viel besser gegangen wäre.«
Ihr Grinsen erlosch, als sie Oskars Gesicht bemerkte, das plötzlich so wächsern aussah wie das von einer Schaufensterpuppe mit Angst vor Sonnenbrand. »Hab ich was Falsches gesagt?«
»Nein.« Oskar schüttelte schnell den Kopf, als wollte er auf diese Weise wieder Farbe ins Gesicht kriegen. »Warum haben Sie sich überhaupt scheiden lassen?«
»Weil mein Mann mich wegen einer anderen Frau verlassen hat.«
»Einer älteren«, fügte ich hinzu.
»Danke, dass du mich dran erinnerst, Rico.« Frau Dahling nippte an ihrem Sekt, stellte das Glas ab und grinste auf einmal wie ein kleines Mädchen. »Aber wisst ihr was? LetzteWoche hat sie ihn verlassen, weil sie inzwischen einen Jüngeren gefunden hat. Das nenne ich Gerechtigkeit!«
»Das nenne ich Sellawie.« Ich schaute zum Tisch und auf ihr einzelnes Glas. »Kommt auÃer uns niemand zum Feiern?«
»Nee. Mit den Mädels von der Arbeit hab ich mir gestern schon einen zur Brust genommen. Mit deiner Mutter heute Nachmittag, kleines Schlückchen Gutes, weiÃt schon. Aber mit dir wollte ich extra feiern.«
»Warum?«
Sie lächelte. »Weil ich ohne dich vor Einsamkeit verrückt geworden wäre im letzten Dreivierteljahr.«
Es klang wie ein ganz normaler Satz, aber irgendwo zwischen den Worten versteckte sich so viel Wärme, dass ich davon einen total heiÃen Kopf kriegte. Er wurde noch heiÃer von dem Knutscher, den Frau Dahling mir plötzlich auf die Backe drückte. Oskar grinste nur breit und hob einen Daumen hoch. Er hätte vielleicht auch zwei hochgehoben, aber auf der anderen Hand balancierte er einen mehrstöckigen Müffelchenturm.
Irgendwann hatten wir alle Leckereien durchprobiert und fielen erschöpft aufs Sofa zwischen die Plüschkissen. Frau Dahling drückte mir die Fernbedienung vom DVD-Player in die Hand und es ging los. Oskar setzte sich den Teddy auf den SchoÃ. Da er Miss Marple nicht
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