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Rico, Oskar und das Herzgebreche

Rico, Oskar und das Herzgebreche

Titel: Rico, Oskar und das Herzgebreche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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kannte, war er mindestens genauso total gespannt wie ich. Es ist einer der wenigen Vorteile einer Tiefbegabung, dass man selbst bei einemKrimi, den man schon zehn Mal gesehen hat, den Täter vergisst und die Opfer auch. Man kann ihn also immer wieder gucken.
    Ich hatte Mörder ahoi für uns ausgesucht. In dem geht Miss Marple an Bord von einem Marineschiff, um dort einen Killer zu suchen. Ganz am Anfang weiß man das natürlich noch nicht. Aber man sieht – wenn die Musik läuft, von der ich immer sofort gute Laune kriege, und noch während die Namen der Schauspieler eingeblendet werden –, wie Miss Marple einen Klamottenladen betritt. Im Schaufenster ist auf einer Schneiderpuppe so eine Art Matrosenuniform ausgestellt. Miss Marple verschwindet zum Umziehen hinter einem Vorhang und die Verkäuferin kommt raus und bringt ihr nacheinander Jacke und Hütchen, dann die weiße Bluse und eine Damenkrawatte und zuletzt den Rock, und man sieht die nackte dicke Kleiderpuppe und denkt: Mann, die ist echt ein ganz schönes Möpschen, diese Jane Marple! Dann kommt die Stelle, wo sie hinter dem Vorhang hervortritt und man sie endlich in ihrer schicken neuen Uniform sieht – und das war genau die Stelle, an der Oskar plötzlich rief:
    Â»Halt!«
    Ich dachte, er müsste aufs Klo, was er sich ja echt vorher hätte überlegen können, und drückte genervt die Stopptaste.
    Â»Lass mal zurücklaufen«, sagte er.
    Â»Warum?«
    Â»Siehst du gleich. Mach mal, bitte.«
    Ich ließ neugierig den Film zurücklaufen.
    Â»Stopp«, rief Oskar. »Jetzt wieder vorwärts.«
    Wir guckten uns erneut an, wie die Verkäuferin dreimal nach vorne in den Laden ging, die Klamotten von der fetten Puppe nahm und dreimal damit hinter dem Vorhang verschwand, was noch nicht wirklich spannend ist. Eigentlich gar nicht, außer man steht auf Vorhänge von Umkleidekabinen, von denen man die Querstreifen zählen will.
    Als Miss Marple endlich komplett neu angezogen aus der Umkleide rauskam, rief Oskar wieder: »Halt!« Ich drückte die Stopptaste und sah ihn genauso fragend an wie Frau Dahling.
    Â»So«, sagte er. »Wie war die Reihenfolge?«
    Eine von Frau Dahlings frisch gezupften Augenbrauen rutschte nach oben. »Welche Reihenfolge?«
    Â»Von den Klamotten. Ich sag’s euch: Zuerst kriegt Miss Marple die Jacke und den Hut gebracht. Beides zieht sie hinter dem Vorhang an, richtig?«
    Â»Klar«, sagte ich.
    Â»Dann kriegt sie die Bluse und die Krawatte, und den Rock zum Schluss.«
    Â»Ja, und?«
    Â»Na, wenn sie zuerst die Jacke anzieht, müsste sie das Hemd doch eigentlich drüberziehen.« Die Sonnenbrille sah aus wie zwei schwarze Löcher, aber ich wette, die grünen Augen dahinter funkelten vor Vergnügen. »Das ist ein Fehlerim Film. Der Regisseur hat Mist gebaut. So was nennt man Goof.«
    Es hörte sich an wie Guhf und war bestimmt englisch, aber das war mir gerade mal wurst. Jetzt hatte Oskar mir den Spaß am Film versaut, nur weil er in meinem Fremdwörterlexikon ausgerechnet G bis H gelesen hatte. Als er irgendwann später anmerkte, das Killerschiff in den Weitwegaufnahmen sei zwar komplett aus Holz, aber bei den Nahdranaufnahmen könne man Metallwände sehen, und als er noch später sagte, die Mannschaftskabinen seien anfangs in einer Reihe hintereinander angeordnet, aber eine Szene später kreuz und quer übers Schiff verteilt, und als ich deshalb jedes Mal den Film zurück- und wieder vorlaufen lassen musste, hatte ich die Nase endlich voll.
    Â»Entweder du hältst jetzt die Klappe«, fuhr ich ihn an, »oder ich steck dir die Fernbedienung in den Hals!«
    Also echt! Da fragt man sich doch, was so einem Hochbegabten außer Müffelchenfressen überhaupt noch Spaß macht, wenn er wegen jedem kleinen Fehler so ein Gedöns hält! Man fragt sich auch, was Gedöns überhaupt genau heißt und warum es schon wieder so ein beknacktes G-Wort ist.
    Mann, Mann, Mann!
    Dass Oskar Mörder ahoi zuletzt total toll fand und Miss Jane Marple auch und die Musik sogar auf eine ganz eigene Art herausragend, wie er sagte, stimmte mich einigermaßen versöhnlich. Ich hoffte, dass wir noch einen zweiten Filmgucken durften, bei dem Miss Marple beim Anziehen und dergleichen besser aufpasste, aber Frau Dahling sah auf ihre Uhr und schüttelte den Kopf.
    Â»Noch ein Film geht nicht, Rico.

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