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Rico, Oskar und das Herzgebreche

Rico, Oskar und das Herzgebreche

Titel: Rico, Oskar und das Herzgebreche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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weniger bekam ich mit, wohin wir überhaupt fuhren. Ich hätte die Wut gern in mein Schildkrötenkästchen gepackt, aber das war schon bis oben hin voll mit Angst und Sorgen, und jetzt war kein guter Moment, um ein neues Kästchen zu basteln, mit einer giftigen Spinne drauf oder dergleichen. Man braucht Zeit und Ruhe für Gefühle, auch für die schlechten.
    Es war eine merkwürdig angespannte Fahrt. Keiner von uns redete. Herr van Scherten passte auf, dass wir nicht zu nah an den Mercedes gerieten, ihn aber auch nicht verloren an den vielen Ampeln, und Oskar guckte durch seine Sonnenbrille zum Fenster raus, in eigene Gedanken versunken. Wahrscheinlich fragte er sich, was er eigentlich hier machte auf einer Verbrecherjagd wegen meiner Mama, während seine eigene Mutter vor langer Zeit davongerannt war und sein Vater immer noch diesen bescheuerten Abstand brauchte. Plötzlich tat er mir wahnsinnig leid, deshalb nahm ich einfach seine Hand und drückte sie. Er schaute weiter zum Fenster raus, wo schön bunt Berlin vorbeizischte, die Hand zog er aber nicht zurück. »Scheint so, als wollten die beiden rausfahren aus der Stadt«, unterbrach Herr van Schertenplötzlich die Stille. »Wollen wir mal hoffen, dass sie mehr vorhaben als bloß einen kleinen Ausflug über Land.«
    Ich hoffte außerdem, dass der Boris nicht irgendwann voll auf die Tube drückte. Unser Wagen war nur ein uralter Golf. Als wir in der Lilienthal eingestiegen waren, hatte Herr van Scherten die Knöpfchen an den Türen alle mit der Hand hochziehen müssen, also nix mit Vollautomatik und so weiter. Gegen den rasanten Mercedes, befürchtete ich, hatten wir auf freier Strecke keine Chance, und wir mussten ihm sowieso schon einen ordentlichen Vorsprung lassen, damit der Boris nicht merkte, dass er verfolgt wurde.
    Herr van Scherten hatte richtig vermutet: Es ging raus aus der Stadt. Ich konnte kaum so schnell gucken, wie rundum alles sich veränderte und Berlin immer weniger Berlin wurde. Anfangs dröhnten und hupten noch jede Menge Autos und schossen über Kreuzungen, auf den Radwegen surrten die Reifen schneller Flitzer, und Menschen wuselten auf den Gehsteigen. Dann wurde das Sausen und Brausen weniger und aus den vielen Straßen, auf denen wir fuhren, wurde eine. Die Häuser wurden niedriger und schmückten sich mit Vorgärten, rückten immer weiter auseinander und wurden schließlich abgelöst durch Bäume, Hecken und Wiesen am Straßenrand. Nach einer Weile kam mir die Strecke bekannt vor. Nach noch einer Weile war ich sicher, dass ich sie wirklich kannte.
    Â»Hier geht’s in Richtung Süden!«, rief ich aufgeregt. »Gleich kommt ein Schild, auf dem ist Berlin durchgestrichen!«
    Â»Woher weißt du das?«, sagte Oskar. Er guckte jetzt nicht mehr aus dem Fenster, sondern an der Kopfstütze von Herrn van Scherten vorbei gespannt nach vorn.
    Â»Weil ich hier vorgestern war, bei meinem Motorradausflug«, sagte ich. Und da stand es auch schon am Straßenrand, das Schild, vor dem ich am Dienstag mit dem Wehmeyer gestanden hatte: das Ende der Welt. Aber der Mercedes hielt natürlich nicht an, um die Aussicht zu bewundern. Die Fahrt ging weiter, vorbei an den gruseligen Maisfeldern, die sich in die Ferne erstreckten, so weit das Auge reichte.
    Â»Auch das noch«, sagte ich leise. »Feldhamster.«
    Â»Die haben sich aus dieser Gegend zurückgezogen, es gibt nur noch vereinzelte Exemplare«, sagte Herr van Scherten. »Für größere Bestände müssten wir schon weiter runter fahren, nach Thüringen.« Er bemerkte meinen überraschten Blick im Rückspiegel, wandte den Kopf über die Schulter und grinste. »Hab Biologie und Physik unterrichtet, als ich noch Lehrer war. Hab ich dir das nie erzählt?«
    Ich schüttelte den Kopf – ich hatte nicht mal gewusst, dass er Lehrer gewesen war. Aber dafür horchte Oskar jetzt auf. »Physik?«, trompetete er. Und dann legte er, zur großen Begeisterung von Herrn van Scherten, wieder los mit den massenhaft rotierenden Galaxien, genau wie vorgestern bei Berts, als wären wir nicht gerade zwischen vereinzelten Feldhamstern auf Verbrecherjagd, als hätte sein blöder Vater ihn nicht vor zwei Tagen im Stich gelassen, und plötzlich wusste ich, aus irgendeinem Grund aus heiterem Himmel, dass erdarüber redete, weil wir auf Verbrecherjagd waren, weil sein Vater

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