Rico, Oskar und der Diebstahlstein
acht weniger neun auszurechnen â man kann ja ruhig etwas kleiner anfangen und ohne mathematische Wertwiederholung â, aber Pustekuchen. Ich wette, als der liebe Gott damals sauer auf die Menschen war und ihnen die Sintflut schickte, um sie alle plattzumachen, schickte er auÃerdem noch Mathe hinterher, nur zur Sicherheit. Und als dann die Sintflut vorüber war und die Arche mit einem Paar von jedem Tier wieder auf dem Trockenen saÃ, hat Gott das mit dem Mathe-Fluch einfach vergessen, schlieÃlich war ja jetzt niemand mehr da auÃer Noah und seiner Familie, und die mussten bloà noch bis zwei zählen. Seitdem haben wir den Salat.
Porsche brachte stolz wedelnd das Stöckchen zurück und legte es Oskar vor die FüÃe. Aber Oskar beachtete ihn nicht. Er schaute zwei Frauen entgegen, die gerade auf uns zukamen. Seine kleine Zunge flitzte über die Lippen.
Jetzt also das wieder!
Als die beiden Frauen nur noch ein paar Meter entfernt waren, hob Oskar einen Arm ganz hoch. Er guckte wichtigtuerisch auf seine Uhr und schielte kurz zu mir rüber. Ich machte mich bereit, holte tief Luft und rief laut:
»Schicke Uhr! Die war bestimmt teuer!«
Die Frauen interessierte das überhaupt nicht. Mich eigentlich auch nicht, aber ich wollte Oskar einen Gefallen tun. Ich glaube, er hat es Lars nie verziehen, dass der ihn letztes Jahr bei Mama und mir ausgesetzt und dann einfach vergessen hatte. Lars hat bis heute nicht erzählt, wo er damals gewesen ist.
»Wenn ich ihn umtauschen könnte, würde ich das sofort tun«, hatte Oskar mir danach anvertraut. »Ich befürchte bloÃ, es würde ihn keiner haben wollen. Und ich will ihn auch nicht!«
In Wirklichkeit will er ihn aber doch, und der Beweis dafür ist die protzige Armbanduhr. Oskar hat sie im Februar zu seinem achten Geburtstag geschenkt bekommen. Von Lars. Das Ding ist so schwer, dass es Oskars schmächtigen Arm nach unten zieht, wenn er ihn länger als zehn Sekunden ausstreckt. Aber er ist total stolz auf die dicke Uhr. Er richtet es geschickt immer so ein, dass jeder sie sieht und darauf gucken kann, zum Beispiel beim Einkaufen bei Edeka. Er lässt seinen Arm, KRAWUMMS, auf die Theke vor der Kasse knallen und guckt sich dann so lange und ausgiebig die Auslagen an, bis die Kassiererin ganz rappelig wird, weil sich hinter Oskar die nächsten Kunden stapeln. Irgendwann hebt er dann endlich den Arm ganz hoch, schaut auf die Uhr und sagt: »Oh, schon halb eins â ich muss nach Hause! Nur gut, dass die Uhr so genau geht. Ist ein Geschenk von meinem Vater.« Dann gucken zwar alle Leute hin, aber nur deshalb, weil sie darauf warten, dass die Kassiererin Oskar endlich beim Schlawickel packt und ihn rauswirft. Ich bringe es nicht übers Herz, ihm das zu sagen.
Die beiden Frauen gingen an uns vorbei, ohne Oskar und die Uhr eines Blickes zu würdigen. Er tat so, als bemerkte er das nicht und als hätte er sowieso gerade nach der Zeit gucken wollen. Aber seine dünnen Lippen waren noch dünner geworden.
»Bald vier«, sagte er. »Wir sollten nach Hause gehen.«
Klar. Zu dem Bekloppten. Ich hätte Oskar gern gefragt, ob es Selbsthilfegruppen für die Kinder von Selbsthilfegruppen-Besuchern gibt. Aber er war schon losgestapft, und sein Gang war so niedergeschlagen, dass ich es lieÃ.
Im Vierten schloss gerade der Kiesling seine Tür ab, als ich raufkam. An seinem einen Arm hing eine kleine Reisetasche und am anderen ein groÃer Typ mit Sonnenbrille. Garantiert sein Neuer.
»Hi, Rico«, sagte der Kiesling mit einem Blick über die Schulter. »Na, alles klar?«
Ich starrte misstrauisch den Neuen an. Wahrscheinlich wollte er nur cool aussehen, aber eine Sonnenbrille im dunklen Treppenhaus macht einen sofort verdächtig, finde ich.
»Wer sind Sie?«
»Neugierig sind wir gar nicht, hm?«, sagte der Neue freundlich. »Aber gut, wenn einen selber die ganze Stadt kennt ⦠Du bist der Kleine, der letztes Jahr Mister 2000 erledigt hat, stimmtâs?«
»Der Kleine ist Oskar. Ich bin der GroÃe.«
Der Neue lachte.
Seine Stimme war mir bekannt vorgekommen. Sogar seine Zähne kamen mir bekannt vor, als er jetzt grinste. Tadellos weià und schön regelmäÃig. Aber der Kiesling ist schlieÃlich Zahntechniker, der achtet sicherlich auf so was, wenn er sich einen zum Knutschen aussucht. Hoffentlich hatte er auch darauf geachtet,
Weitere Kostenlose Bücher