Rico, Oskar und der Diebstahlstein
huschten Ottos Blicke über ihn hinweg wie Querschläger aus einer Pistole.
»Die Mütze kannst du absetzen«, schnaufte er nach einer Weile in die Stille hinein. »Der Winter ist vorbei.«
Sollte wohl ein schwacher Witz sein, oder das Schweigen ging ihm genauso auf die Nerven wie mir. Aber Oskar war nicht in Stimmung für Witze. Er starrte Otto über den Tisch hinweg so verachtungsvoll an, als hätte der ihm vorgeschlagen, mal für fünf Minuten aufs Atmen zu verzichten. Oskar ist mindestens ein so guter Starrer, wie Otto ein guter Huschroller ist. Ich wusste vorher schon, wer gewinnen würde. AuÃer Mama â und das auch nur beinahe, als die beiden sich kennenlernten â hatte noch keiner Oskar im Starren besiegt.
Jetzt auch nicht.
»Meine ja nur«, murmelte Otto nach ein paar Sekunden eingeschüchtert. Die Kulleraugen rollten ziellos durch die Gegend, bevor er schnell hinzufügte: »Ich nehm Grün.«
»Geht nicht«, gab Oskar knapp zurück. »Grün ist Ricos Farbe.«
Keine Ahnung, wann er das entschieden hatte â mir war meine Farbe eigentlich völlig egal, ich würde sie ja eh mit den anderen durcheinanderbringen.
»Dann Blau«, grunzte Otto.
»Blau ist meine.«
»Dann â¦Â« Ottos Augen standen plötzlich still, und ich glaube, er hielt sogar die Luft an. »Dann nehm ich Gelb!«
»Gerne«, sagte Oskar und grinste.
»Nein, warte!« Otto wurde panisch. »Doch lieber Rot!« Â
»Jetzt behältst du Gelb! Du hast Gelb genommen, weil du dachtest, ich würde sagen, das sei Papas Farbe, und dass du dann Rot kriegen würdest, was du in Wirklichkeit willst.« Oskars Augen blitzten triumphierend, während die von Otto beleidigt in der Gegend herumhuschten. »So. Papa fängt an.«
Lars, der den kleinen Schlagabtausch beobachtet hatte wie andere Leute ein Tennisspiel, nur irgendwie gelangweilter, schnappte sich wortlos den Würfel und würfelte gleich als Erstes eine Sechs und dann eine Drei. Er streckte eine Hand aus und griff nach einem grünen Männchen.
»Ich hab doch gesagt, dass die Rico gehören!«, sagte Oskar.
»Kann sein. Aber da ich nicht gefragt wurde, welche Farbe ich möchte, suche ich mir eben jetzt eine aus.«
»Aber Grün gehört Rico!«, rief Oskar schrill.
»Träum weiter.« Lars rückte mit verkniffenem Gesicht das grüne Männchen drei Felder vor. »Otto, du bist dran.«
Otto zuckte die Achseln, beugte sich vor, um nach dem Würfel zu greifen, und das Sofa machte einen Lederfurz. Jedenfalls dachte ich, dass es das Sofa war, bis Otto schnaufte: »âtschuldigung!«
Mein lieber Schwan!
Otto würfelte drei Mal, ohne eine Sechs zu kriegen. Oskar war dran. Lars sah ihn abwartend an. Oskar verschränkte die Arme.
»Ich spiel nicht mit.«
»O doch, das tust du.«
Die beiden musterten sich böse über das Spielbrett hinweg. Oskar starrte seinen Papa an, mit knallrotem Gesicht. Das Gesicht von Lars war kalkweiÃ. Ich zählte die Sekunden mit, die das gegenseitige Anstarren dauerte â¦
⦠eins, zwei, drei â¦
⦠und nichts änderte sich. Womöglich hatte Lars gerade eine Frustration, und Oskar wartete darauf, dass sie eine Richtung fand â¦
⦠vier, fünf, sechs â¦
⦠aber plötzlich geschah das Unfassbare und â Oskar senkte den Blick! Er nahm den Würfel und kullerte alles Mögliche zusammen, bloà keine Sechs. Und in all der Zeit, die er zum Würfeln brauchte â¦
⦠sieben, acht, neun â¦
⦠grinste Lars so blöde wie ein kleiner Junge auf dem Schulhof, der soeben einen noch kleineren Jungen plattgemacht hat. Als er sich mir zuwandte, immer noch dieses gemeine Grinsen im Gesicht, und mir genau in die Augen sah, hatte ich das Gefühl, als schaute ich in die tiefsten Tiefen meiner Bingotrommel, und die drehte sich so wild, dass ich zuerst gar nichts hörte, sondern bloà sah, wie Lars den Mund bewegte, bis ich endlich irgendwann hörte:
»Hallo? Ist jemand dadrin?«
»Was?« Ich holte tief Luft. »Ja, klar. Sechsundvierzig.«
»Was?«
»Sieben mal acht weniger neun.«
»Hat das was mit dem Spiel zu tun?«
»Mit Mathe.«
Neben mir lachte Oskar so leise, dass bestimmt nur ich es hörte. Vom Sofa kam ein Furzgeräusch, das jeder hörte, gefolgt von
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