Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rico, Oskar und der Diebstahlstein

Rico, Oskar und der Diebstahlstein

Titel: Rico, Oskar und der Diebstahlstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
Vom Netzwerk:
Mann sich um ein ausgesetztes Fräulein mit Kind gekümmert hatte. Und irgendwann würde niemand mehr eine Ahnung davon haben, dass viele Jahre später ein anderer Mann aus diesem Haus Kinder entführt hatte, dass da eine Jule gewohnt hatte, bis sie irgendwo auf der Karte unten links oder rechts gelandet war, oder ein Berts, der in eins von zwei Frankfurts mit Fluss abhaute. Irgendwann würden auch Mama und ich vergessen sein und Mommsen, Massoud und die Kesslers, der Kiesling, die RBs, Oskar und Lars, Frau Dahling, der Bühl … Plötzlich kam wieder eine Trauerwelle angerauscht, aber bevor sie sich richtig in mir ausbreiten konnte, waren wir schon angekommen und stiegen in die S-Bahn um.
    Der Bonhöfer wohnte in einem von diesen braunen Häuserblöcken mit kleinen Fenstern, die in der Adventszeit immer bunt glitzern und blinken wie Landebahnen für sehr kleine UFOs, in denen aber auch gern mal das graue Gefühl nistet. Auf dem Klingelschild stand H. Bonhöfer. Ich hatte ein bisschen Schiss, dass er uns nicht reinlassen würde, und konnte nur hoffen, dass Oskars erwachsene Masche bei ihm noch mal genauso zog wie bei Mommsen. Tat sie!
    Â»Wir müssen mit Ihnen über Ihre Tochter reden«, sagte Oskar in die Sprechanlage. »Sie steckt in Schwierigkeiten.«
    Es summte, die Tür ging auf, und eine Minute später saßen wir Herrn Bonhöfer in seiner freundlich eingerichteten Küche am Tisch gegenüber. Alles an ihm war kantig, als hätte er ein Skelett aus Eisen. Selbst seine Haare waren kräftig und silbern wie eine Drahtbürste. So jemand, überlegte ich, kannte kein graues Gefühl. Aber der Bonhöfer kannte ganz bestimmt jede Menge Sorgen. Sie hatten ihm tiefe Knitterfalten ins Gesicht gegraben.
    Â»Dann legt mal los«, sagte er mit tiefer Stimme. »Was hat Julia diesmal wieder angestellt?«
    Er war es also gewohnt, wegen seiner Tochter Stress zu haben, aber gut, irgendwo mussten die Falten ja herkommen. Bestimmt hatte er deshalb seine Küche mit Blümchentapete tapeziert – damit er, wenn er schon so eine Sorgentochter hatte, wenigstens ab und zu bessere Laune kriegte. Neben der Tür hing ein witziges Schlüsselbrett mit Haken, die aussahen wie fünf nebeneinander blühende Tulpen, zwar mit nur drei Schlüsseln dran, aber dafür mit einem handgemalten roten Herzchen über einer der beiden freien Blüten. Und an einer der Wände hingen jede Menge gerahmte Fotos und ein paar Ansichtskarten. Ich guckte sie mir an, während Oskar dem Bonhöfer erzählte, was seine Tochter diesmal wieder angestellt hatte.
    Ein paar Bilder zeigten einen hübschen Leuchtturm aus rostroten Backsteinen von verschiedenen Seiten aus und ein paar andere einen Strand mit Dünen und kleinen schiefen Nadelbäumen und Meer weiter hinten. Dann gab es noch eins von einem breiten hölzernen Steg, der endlos weit ins Meer zu ragen schien, und eine Ansichtskarte mit Ortschaften wie auf einer Landkarte drauf, unter denen Gruß von der Bernsteinküste! gedruckt stand, und in eine der Ortschaften war das gleiche winzige rote Herzchen gemalt wie auf dem Schlüsselbrett, sehr niedlich.
    Aber auf den meisten Fotos war Julia zu sehen. Jetzt, aus der Nähe, erkannte ich sie sofort wieder, denn ich erinnerte mich, aus der Begegnung im Treppenhaus, an ihre hübschen mandelförmigen Augen. Anscheinend änderte sie gern mal ihre Haarfarbe, in rot, schwarz, blond, braun, sogar lila und grün, und auf fast jedem Foto hatte sie eine andere Frisur, von stoppelkurz bis lang.
    Auf einem Bild waren ihre Haare lang und dunkel, und eine Strähne war ihr ins Gesicht geweht. Es war das einzige Foto, auf dem Julia lachte und natürlich aussah. Sie hatte von hinten einen Arm um ihren Papa gelegt und guckte ihm über die Schulter. Beide standen in einem Garten, unter einem blühenden Baum, bestimmt Äpfel oder Melonen oder so was. Im Hintergrund war ein kuscheliges kleines Häuschen zu sehen. Das musste irgendwo außerhalb oder ganz am Rand von Berlin sein.
    Â»Und deshalb«, schloss Oskar seine Erzählung, »hätten wir den Kalbstein gern wieder. Er bedeutet Rico viel. Einfach deshalb, weil er Fitzke viel bedeutet hat.«
    Â»Verstehe«, sagte der Bonhöfer nur. Wirklich überrascht zu haben schien es ihn nicht, dass Julia in Wohnungen eindrang, die ihr nicht gehörten, um dort Sachen zu klauen, die ihr noch

Weitere Kostenlose Bücher