Rico, Oskar und der Diebstahlstein
dann war ich so schnell wie noch nie in meinem Leben.
Ich weià nicht mehr, wie ich auf die Beine kam. Ich weià nur noch, wie ich rannte. Ich sehe noch das Gewackel vor meinen Augen, Fitzkes hellen Flur, das dustere Treppenhaus. Ich schieÃe in fliegender Hast die Stufen runter, zwei auf einmal, das Gerumpel in den Ohren, mit dem Justin von Treppenabsatz zu Treppenabsatz springt, um den Abstand zu verringern, hinter mir Porsches Bellen, sein mir rasend schnell folgendes Getrippel und über alldem der nicht enden wollende Alarmsirenenschrei von Oskar. Vier Stockwerke, kann ich nur denken. Vier Stockwerke, und wenn Oskar es bis raus auf die StraÃe schafft, ist er in Sicherheit, da sind sicherlich FuÃgänger unterwegs, und falls nicht, liegt keine fünfzig Meter entfernt der Eingang ins Urban-Krankenhaus.
Plötzlich ging das Licht an. Da war ich schon im Zweiten, während Oskar und Justin, den Geräuschen nach zu urteilen, etwa im Parterre angekommen sein mussten.
Da war Endstation.
Oskars Alarmsirenenschrei brach so unvermittelt ab, als wäre der Krankenwagen in vollem Tempo gegen eine Mauer gerauscht. Ich überschlug mich fast die Stufen runter, so eine Angst hatte ich um ihn, aber noch bevor ich im Ersten ankam, hörte ich ein WUMP!!! und ein UFF!!! und ein DOPPELWUMP!!! .
Irgendwas brach lautstark in sich zusammen.
Dann Stille.
Porsche und ich kamen gleichzeitig im Parterre an und gleichzeitig zum Halten. Wo das Schneckengewinde der Treppe aufhört und diesen Abbieger runter in den Hausflur macht, lag reglos Justin, die FüÃe nach oben, den Kopf die Stufen runter. An der Wohnungstür vom Mommsen lehnte Lars, keuchend, beide Fäuste erhoben, die er ungläubig anstarrte. Auf seiner Stirn klaffte eine kleine Platzwunde. Ein bisschen helles Blut rieselte runter. Oskar stand dicht an ihn gepresst, die Arme um seine Hüften geschlungen, die Augen weit aufgerissen.
Lars lieà die Fäuste sinken. Er legte Oskar eine Hand auf den Kopf. Ein tiefer Atemzug, so tief wie ein Ozean, ging in ihn rein und kam wieder raus, gefolgt von einem rauen, rasselnden Flüstern, als spülten groÃe Wellen unzählige kleine Kieselsteine an einen Strand.
»Niemand. Schlägt. Meinen. Sohn.«
Der Berserker stöhnte leise. Ein Arm zuckte, eine Hand hob sich, dann fiel sie kraftlos wieder runter. Ich trat wortlos auf Oskar zu, zog ihm seine Bommelmütze ab und hielt sie Lars hin. Wenn man sonst nichts zum Fesseln hat, muss man nehmen, was man kriegt.
Erst flitscht die Zeit so schnell an einem vorbei, dass man ihr kaum nachgucken kann, und dann dehnt sie sich auf einmal wie ein kiloschweres Kaugummi von hier bis Sri Lanka.
Lars rannte sofort in seine Wohnung, um die Polizei anzurufen â ein Handy hat er nicht, weil Handys angeblich Strahlen aussenden, die einem das Gehirn verbrutzeln. Er war kaum die Treppe rauf, da kam Berts die Treppe runter, gestützt von Julia. Er hielt sich eine Hand vor die Nase. Seine Stimme war total komisch, wie die von einem Bauchredner mit einer lustig quäkenden Plastikente unterm Arm.
»Wir gehen rüber ins Urban«, näselte er. »Geht schneller, als wenn wir einen Krankenwagen rufen. Alles okay bei euch?«
Oskar, der ohne die Bommelmütze fast so nackt aussah, als wäre die Dieffe 93 zum FKK-Strand erklärt worden, zeigte auf Justin, der immer noch bewusstlos und mit dem Kopf abwärts auf den Stufen in Richtung Hauseingang lag. Lars hatte ihn auf den Bauch gedreht, ihm die Hände mit den Bommelbändeln fest hinter dem Rücken zusammengeknotet und, weil er befürchtet hatte, das könnte nicht ausreichen, die Fesselung zur Sicherheit auch noch mit seinen Schnürsenkeln verstärkt. Julia musterte Justin mit einem Blick, als wäre er ein hässlicher Teppichläufer, der das ganze Treppenhaus verschandelte.
»Ich komme wieder, sobald ich euren Freund im Krankenhaus abgeliefert habe«, sagte sie zu mir mit einer Stimme, die so müde und matt war wie eines von den Blättern an den Pellebäumen, die den ganzen Winter über daran hängen bleiben, statt im Herbst runterzufallen. »Ich kann Justin nicht alleinlassen. Jedenfalls jetzt noch nicht. Ich hab immer gewusst, dass er fies werden kann. Aber das hier â¦Â«
Ich konnte nur nicken. Sie tat mir leid, obwohl wir ihr dieses ganze Chaos zu verdanken hatten. Als sie so alt gewesen war, wie Oskar oder ich es jetzt waren,
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