Rico, Oskar und die Tieferschatten
Laune, weiß aber nicht so viel. Oskar wusste jede Menge merkwürdiger Dinge, aber seine Laune war dafür im Keller. Bestimmt ist das so, wenn man sehr schlau ist — es fallen einem zu allen schönen Sachen auch gleich noch ein paar schreckliche ein.
Ich sprang auf. Mir war eine Idee gekommen. »Ich zeig dir was«, sagte ich. »Es ist völlig ungefährlich und ganz toll!«
»Was denn?«
»Warte, muss erst noch kurz mit Mama reden.«
Ich stürmte ins Wohnzimmer — heute war wirklich ein schneller Tag —, wo Mama mit untergeschlagenen Beinen auf unserem Nachdenksessel vor der Fensterbank saß. Sie schaute zum Fenster raus. Ihr Blick war ganz weit weg. Um sie herum keine Spur von Nagellack oder neuen kleinen Zehenbildchen. Wahrscheinlich hatte sie gelogen und wollte einfach nur ihre Ruhe haben.
»Wie findest du ihn?«, flüsterte ich.
Sie wandte sich mir zu und zog die Nase kraus. »Ich finde ihn merkwürdig. Wo hast du ihn denn aufgegabelt? Ich hab noch nie ein Kind mit Sturzhelm -«
»Ich meine nicht Oskar. Ich meine den Bühl!« »Oh ...« Plötzlich wirkte sie so müde, als hätte sie eine Woche lang nicht geschlafen. Ihre Augen gingen langsam zu und wieder auf und dann redete sie, langsam und eindringlich.
»Rico, pass mal auf. Ich weiß, dass du dich nach einem Vater sehnst. Und ich wünschte mir für uns beide, wir hätten einen im Haus, das musst du mir glauben! Aber das bedeutet nicht, dass ich mit jedem Mann anbändeln kann, der deiner Ansicht nach für diese Rolle in Frage kommt.«
Na gut, sie fand den Bühl also fürchterlich. Wahrscheinlich lag es an ihrem Job, wo sie dauernd von irgendwelchen Typen angebaggert wird. Da ist es verständlich, wenn man im Privatleben nichts mehr von ihnen wissen will. Aber wenn das so weiterging und Mama nicht aufpasste, kriegte sie womöglich irgendwann das graue Gefühl. Bis jetzt hat sie noch nie einen Freund mit nach Hause gebracht, dabei lernt sie auf der Arbeit jede Menge Männer kennen, viel mehr als Frau Dahling hinter der Fleischtheke. Da muss doch mal ein passender dabei sein!
»Sag mir trotzdem, wie du ihn fandest. Bitte!« Meine Stimme war drängelig. Mir lag etwas daran, dass sie den Bühl mochte, wenigstens ein bisschen. Ich hatte ihn gemocht.
»Simon Westbühl.« Sie überlegte. »Tja, also ... Ich würde sagen, der Kerl ist mit Abstand die schärfste Schnitte, die ich in meinem ganzen Leben getroffen habe.«
Ich hätte mich gern gefreut, für sie und für mich. Also Mama schaute bloß wieder zum Fenster raus. Jetzt wird sie nicht mehr nur müde, sondern auch beinahe traurig, und obwohl sie direkt vor mir war, kam sie mir so weit entfernt vor wie ein einsames Menschenpünktchen am Horizont.
Manchmal verstehe ich sie überhaupt nicht.
IMMER NOCH MONTAG
AUF DEM DACH
Das Männergewusel hatte sich aufgelöst, vor unserer Wohnung war niemand mehr zu sehen. Als ich die Tür hinter mir zuzog, fragte ich Oskar: »Wer hat dich eigentlich vorhin ins Haus gelassen?«
Sein Helmvisier war wieder hochgeklappt. Er holte tief Luft, als hätte er die Frage längst erwartet und könnte jetzt endlich, endlich eine Antwort darauf geben. »Gar niemand, die Haustür stand auf!.«, stieß er empört aus. »Da könnte sonst wer reinkommen! Mörder, Einbrecher, Betrunkene, die in den Flur pinkeln. Was habt ihr bloß für Nachbarn? Das ist dermaßen leichtsinnig!«
Ich zuckte die Achseln. Ich hatte die Haustür auch schon offen stehen gelassen. Sie hat hinten so einen kleinen Haken. Der klinkt, wenn man sie volle Kanne nach innen aufschubst, in einen Halter an der Wand ein. Keine große Sache, außer man heißt Oskar. In Oskars Leben ist offenbar alles gefährlich - zumindest scheint er das zu denken.
»Und woher hast du gewusst, bei wem du klingeln musst?«
»Vom Namensschild, unten am Eingang.« Seine Stimme war ganz kieksig geworden und schallte wie eine Bugwelle vor uns her die Treppen rauf. »Der stand offen!«
»Ja, ja, hast du ja schon gesagt.« Ich wurde nervös. Wenn er weiter so herumkrähte, würde uns womöglich noch Fitzke abfangen. Ich nahm rasch die ersten Treppenstufen nach oben. »Also, wie hast du es rausgefunden?«
Er stolperte auf seinen kurzen Beinen hastig neben mir her, aber endlich beruhigte er sich ein wenig. »Du hast gesagt, dass dein Vater Italiener war. Doretti ist der einzige Name auf den Klingelschildern, der italienisch klingt.«
Ich ärgerte mich, dass ich nicht selbst darauf gekommen war, aber ich fand Oskars Schlussfolgerung
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