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Rico, Oskar und die Tieferschatten

Rico, Oskar und die Tieferschatten

Titel: Rico, Oskar und die Tieferschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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in der das graue Gefühl eine Heimat gefunden hatte.
    Wieder draußen, wurde mir ein bisschen bedrohlich zu Mute. Die großen Häuser zu allen Seiten schienen immer dichter aneinanderzurücken und sich zu mir runterzubeugen. Die schmutzig weißen Fenster glotzten mich an wie tausend Augen. Ich kramte hektisch den Stadtplan aus dem Rucksack, schlug ihn auf, guckte rein und schlug ihn sofort wieder zu. Ich wette, dass schon Leute wahnsinnig geworden sind bei dem Versuch, einen Stadtplan zu lesen.
    Es hatte keinen Zweck, ich musste mir anders helfen. Wenn ich eine U-Bahn-Station fand, würde es schon irgendwie weitergehen. Ich musste es nur mit irgendeiner Linie bis zum Kottbusser Tor schaffen, der Rest war ein Klacks. Den Eingang in die U-Bahn am Kottie kann ich nämlich prima vom Doyum Grillhaus aus sehen, wenn ich dort einen Döner oder dergleichen füttere. Von da aus nach Hause ist es genau wie umgekehrt.
    Auf der anderen Straßenseite stand ein Kiosk. Da konnte ich nach dem Weg fragen. Weit und breit war keine Fußgängerampel in Sicht, aber es herrschte kaum Verkehr. Jedes Jahr
    verunglücken fast vierzigtausend Kinder in Deutschland , hörte ich Oskar sagen. Fünfundzwanzig Prozent als Fußgänger; Das waren bestimmt mehr als hundert, schätzte ich. Vorsichtshalber streckte ich einen Arm aus, die Hand wie ein Pfeil nach vorn, und lief mit zusammengekniffenen Augen los, quer über den Damm.
    Kein Quietschen von Bremsen, kein Hupen. Es ging alles glatt.
    Ein Opfer weniger.
    Vor dem Kiosk waren jede Menge Zeitungsständer aufgebaut. Von allen Seiten kündeten dicke Schlagzeilen von Oskars Entführung. Auf der BZ war ein ähnlicher Stadtplan abgebildet wie der, den ich gestern Abend im Fernsehen gesehen hatte, mit sechs roten Punkten drauf, um die Orte der einzelnen Entführungen zu markieren. Darunter stand: Das Muster des Schreckens! Und in etwas weniger fetten Buchstaben: Eltern in Panik — ist IHR Kind das nächste?
    Die Kioskfrau hatte all die Zeitungen entweder nicht gelesen oder es war ihr einfach egal, wenn Kinder elternlos durch die Gegend liefen. Jedenfalls guckte sie mich nur kurz und unverwundert an, als ich sie nach dem Weg zur nächsten U-Bahn-Station fragte.
    Ihre Antwort konnte ich mir nicht behalten. Es kam so viel links da und rechts dort und dann wieder links darin vor, dass mir ganz schwindelig wurde. Aber ich bedankte mich freundlich. Die Kioskfrau konnte ja nichts dafür, dass ich nur geradeaus laufen kann.
    Also zurück zur Straße. Ich stapfte einfach drauflos. Irgendwo würde es schon eine Bushaltestelle oder dergleichen geben, oder ich fand irgendeine U-Bahn-Station per Zufall.
    Dann sah ich den Taxistand. Erleichtert trabte ich darauf zu. Ich war noch nie im Leben Taxi gefahren und hatte keine Ahnung, ob Mamas zwanzig Euro von Tempelhof bis in die Dieffe reichten, aber das Geld war bestimmt gut angelegt. Immerhin bekam Mama mich dafür wieder und würde mich nicht in den Alpen oder am Pazifik abholen müssen, weil ich mich verlaufen hatte.
    Ich krabbelte auf den Rücksitz des vordersten Wagens in der Warteschlange und zog die Tür hinter mir zu. Der Fahrer hatte eine speckige Falte im Nacken. Er drehte sich zu mir um.
    »Und was gibt das jetzt?«, blaffte er mich an.
    »Was gibt was jetzt?«
    »Was machst du Zwerg allein auf der Straße? Wo sind deine Eltern?«
    Langsam wurde es echt anstrengend.
    »Ich muss nach Hause, aber ich finde den Weg nicht«, sagte ich. »Und bevor Sie fragen, warum: Ich bin tiefbegabt!«
    »Ach ja? Das seid ihr Gören inzwischen doch alle!«
    Auf Widerworte hatte ich keine Lust. Ich wollte bloß noch nach Hause in den Nachdenksessel. Klimpermann und grünes Zimmer ... ganz toll! Ich konnte weder mit dem einen noch mit dem anderen auch nur das Geringste anfangen. Die Enttäuschung darüber, den Weg zu Sophia völlig umsonst gemacht zu haben, war so groß, dass mir Tränen in die Augen stiegen. Aber der Taxifahrer zeigte kein bisschen Mitleid. Er musterte mich immer noch. Ich probierte Oskars Trick mit dem Zurückgucken, aber der funktionierte nicht.
    »Ich frag dich noch mal: Wo sind deine Eltern?«
    Der Kerl würde nicht eher losfahren, bis ich ihm irgendeine Antwort gegeben hatte, die ihn zufriedenstellte. Mann, das ging mir alles so was von auf die Nerven! Er kannte sich ja aus in der Stadt und wusste nicht, wie einem zu Mute ist, der Probleme mit der Richtung hat und dem der einzige Freund unter der Nase weg entführt wurde.
    »Ich war bei einer

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