Riedripp: Kriminalroman (German Edition)
seinem Zwiebeldach. Die obere Grenze der Ortschaft bildete ein Aussiedlerhof. Unten rechts am Dorfrand stand das einzige Hochhaus Riedhagens, immerhin besaß es drei Stockwerke. Das am unteren Dorfrand zum Ried hin gelegene profane und kontemplative Zentrum war der Goldene Ochsen. Und hier war heute einiges los.
»Der Bub, der kriegt ja einen Schaden.«
»Ach was, so was schadet keinem.«
»Du mussts ja wissen.«
»Komm, hör mir auf mit deinem Psycho-Geschwätz!«
»Du bist gut, du kippst ja schon um, wenn eine Sau gemetzgert wird.«
»Schwätz doch keinen Scheiß!«
»Der Bub kann wahnsinnig davon werden, was meinst du, was der träumt. Die Leich muss ja fürchterlich ausgesehen haben, so ohne Nase, kein Mund, und im Leib hat sie wohl auch noch einen tiefen Schnitt gehabt … und das halbe Gesicht weggeschnitten. Das muss ja ausgesehen haben.«
»Auch nicht schlimmer als du.«
»Du Depp, mit dir kann man auch nicht normal reden.«
»So ein Blödsinn! Ein Toter ist ein Toter, der tut keinem was, vor den Lebenden muss man Angst haben. Vor den Lebenden.«
»Der Paul-Josef ist doch noch viel zu jung, um das alles zu begreifen. Der Bub muss in eine Behandlung, sonst wird der verrückt, das muss er verarbeiten. Er hat wohl was vom Riedweible gesagt, der hat bestimmt schon einen Knacks weg.«
»Dann hättest du schon lang eine Behandlung nötig.«
»Mit euch kann man wirklich nicht ernsthaft reden. Der Bub muss zum Pfarrer, damit der ihn wenigstens seelsorgerisch betreut.«
»Meinst du, der Neger hat das drauf?«
»Duuu, jetzt sei aber vorsichtig, der Ngumbu macht seine Sache klasse, dir würde ein Sonntagsgottesdienst auch nicht schaden. Außerdem heißt das Schwarzer oder Farbiger.«
»Oder Bunter.«
Der Bürgermeister Hallinger erhob sich plötzlich vom Stammplatz, klatschte seine flache Hand auf den Tisch und schimpfte:
»Hört ihr jetzt endlich auf, mit eurem Drecksgeschwätz! Meinem Buben macht das überhaupt nichts aus. Wenn gemetzgert wird, ist der immer mit dabei. Der hilft dem Metzger sogar das Blut rühren. Da braucht der jetzt keinen Pfarrer, die Leich braucht einen. Und das mit dem Riedweible, das kommt von meiner Frau, damit das Kind nicht ins Ried abhaut, da hat sie ihm halt immer ein bisschen Angst gemacht. Es ist ja nicht ganz ungefährlich für so einen Jungen im Ried.«
»Das hat ja viel genützt, die Riedweibles-Pädagogik deiner Alten.«
Allgemeines Gelächter wogte durch den Raum.
Der feiste Bürgermeister schlug mit hochrotem Kopf nochmals kräftig auf den Stammtisch im Ochsen, sodass die frisch gezapften Gläser und Krüge schäumend überschwappten, und forderte somit Ruhe im Lokal. Er hatte schon wieder zu viel vom alkoholhaltigen Regionalgebräu konsumiert und stand nun schwankend mit seinem Ein-Liter-Bierkrug am großen Holztisch. Er als Einziger, er als Dorfpatriarch hatte das Privileg, aus einem regional unüblichen Ein-Liter-Maßkrug zu trinken, den er, wie er immer wieder schmunzelnd betonte, bei der Wiesn in München 1971 ›ausgeliehen‹ hätte.
Leicht aus der Hüfte kreisend, mit dem schweren Krug in der Hand redete er zu seinen Bürgern, die seine Rede nicht hören wollten, und verfiel in ein lallendes Mayervorfelder-Hochdeutsch:
»Wieder hat unsere schöne Ortschaft ein foräääns…,
ähm, krimineller Zwischenfall getroffen. Wir Riedhagener sind nun aufgefordert zusammenzuhalten, damit das Remone…, das Ansehen unserer idyllischen Gemeinde nicht durch den Schmutz gezogen wird. Jeder von uns weiß, dass kein Riedhagener zu soo einer Schandtat fähig ist! Wir lieben unser Ried … wie … wie unsere Kinder. Wir morden nicht im Ried!«
Der Zwischenruf kam hart:
»Und damals, das war dann wohl auch kein Riedhagener?«
Der Zwischenrufer spielte auf ein fürchterliches Verbrechen an, dem der ehemalige Pfarrer von Riedhagen, seine Haushälterin sowie ein deutscher Schäferhund zum Opfer gefallen waren.
»Jeeeeder von uns weiß, dass vermutlich, ich betone, vermuuutlich, kein Riedhagener zu soo einer Gräueltat fähig ist. Wir müssen auch darauf achten, dass die Medien unser Dorf nicht zu negativ darstellen. Also Leute, zeigt euch von eurer besten Seite!«
»Was ist denn mit Paul-Josef, wie hat ers verkraftet?«
»Dazu sag ich nur eins: Einen echten Hallinger haut so was nicht um.«
Verhaltener Höflichkeitsapplaus.
»So ein Arschloch!«
Cäcis unergründliche Ried-Augen funkelten noch dunkler als sonst zum betrunkenen Bürgermeister hin. Vom
Weitere Kostenlose Bücher