Riedripp: Kriminalroman (German Edition)
Stiefeln müssen Sie auch noch einmal erzählen. Die war ja voll crazy!«
Ich ignorierte ihre kokette Aufforderung und ging oberflächlich auf ihre erste Frage ein:
»Das frage ich mich auch. Herrgottzack, Sergej, steck dein Feuerzeug jetzt endgültig weg oder ich nehme es dir ab, dann kannst du es am Ende des Schuljahres beim Rektor wieder abholen.«
»Ich nix Russenarsch.«
»Ist ja okay, du Arschloch«, schrie der füllige Rolf aus der letzten Reihe, »du bist kein Russenarsch!«
Die Situation war noch unbedenklich und weiterhin pädagogisch zu retten.
»Mit euch macht das ja wirklich Spaß, ihr seid eine Kombination aus Geriatrie, Kindergarten und forensischer Psychiatrie.«
Da in meiner Aussage mindestens zwei Begriffe waren, die achtzig Prozent der körperlich Anwesenden nicht verstanden, sie mich aber mittlerweile gut kannten und zu Recht eine kumulative Schülerbeleidigung erahnten, war es schlagartig still im überheizten Klassenzimmer.
»Erklären Sie das mal!«, forderte ein Backbancher.
»Das kann ich euch sehr wohl erklären, geriatrisch in dem Sinne, dass ihr umgekehrt proportional zu eurem Alter dement seid, Kindergarten betrifft eure progressive Infantilität, der erwähnte Begriff forensisch bezieht sich auf eure latente kriminelle Energie.«
Endlich war es im Klassenzimmer für lange fünf Sekunden unerträglich still. Ich nutzte die Zeit zum Regenerieren.
»Können Sie das mal übersetzen?«
»Ja, ihr seid Deppen.«
Einige fingen an zu grinsen, die übrigen gingen ihren vorherigen unterrichtsirrelevanten, stereotypen Tätigkeiten nach.
Sergej meldete sich.
»Ja, Sergej?«
Ich ahnte es.
»Ich nix Russenarsch!«
Am Ende der nur bedingt erfolgreichen Unterrichtsstunde im Fach katholische Religionslehre an der Berufsschule in Bad Saulgau kam der schwarzhaarige Tobi aus der letzten Reihe mit dem Sturzhelm in der Hand auf mich zu. Zuerst griff ich mir aber noch Sergej heraus, um ihn zu ermahnen:
»Sergej, provoziere doch nicht ständig. Ich habe nichts dagegen, wenn du dich hier nur reinsetzt und deine Klappe hältst und niemanden störst, okay? Und übrigens, deine Schwester, wann kommt die wieder? Ist sie krank? Bring doch wenigstens eine Entschuldigung, der Klassenlehrer ist schon sauer.«
»Ich weiß nix, wo meine Schwester, vielleicht ist sie wieder in Ukraine. Mit der сука will ich nix zu tun chaben! Außerdem, fragen Sie da lieber Tobi!«
»Was, die ist abgehauen?«
»Egal, sie ist alt genug, die подстилка .«
Ich fragte Tobias:
»Weißt du, wo Alexandra steckt?«
Er zuckte mit den Schultern, warf Sergej einen giftigen Blick zu und ging zum Fenster.
Sergejs ältere Schwester Alexandra war ebenfalls in der Klasse der Fototechnischen Assistenten, aber seit Tagen nicht mehr zum Unterricht erschienen.
Tobi mit dem Sturzhelm in der Hand räusperte sich lautstark, er wollte aufbrechen. Er nickte mir kurz auffordernd zu. Ich verabschiedete mich von Sergej:
»Wenn deine Schwester auftaucht, schick sie einfach mal bei mir vorbei. Das ist doch keine Lösung, einfach von der Schule wegzubleiben.«
»Das ist mir egal, meine Schwester ist eine Schlampe, eine сука , eine подстилка !«
3 Straßengedanken
Das Buch der Sprichwörter
4:25 Deine Augen sollen geradeaus schauen, und deine Blicke richte nach vorn!
4:26 Ebne die Straße für deinen Fuß, und alle deine Wege seien geordnet.
4:27 Bieg nicht ab, weder rechts noch links, halt deinen Fuß vom Bösen zurück!
Ich packte meine wenigen Utensilien in den schwarzorangenen Rucksack, zog meine schwarze Lederjacke über mein schwarzes Sweatshirt, das wiederum harmonierte farblich hervorragend mit meiner schwarzen Lederhose im Jeansstil. Ich vergewisserte mich, dass alle Fenster geschlossen waren, damit die wertvolle Energie, wie Rektor Saitling zu sagen pflegte, nicht verloren ging. Ich nahm meinen schwarzen Helm mit der bescheidenen Aufschrift Harley Davidson und verließ als Letzter zusammen mit dem 16-jährigen Tobias Fränkel das dunstgeschwängerte Klassenzimmer der Fototechnischen Assistenten. Die lederbesohlten Holzabsätze meiner Pythonlederstiefel – gelbe Python aus Brasilien, gepaart mit braunem Rindsleder – gaben bei jedem Tritt einen dumpfen hallenden Ton im schon menschenleeren Gang von sich. Tobi schritt wortlos neben mir her. Wieder hatte ich eine Schlacht geschlagen – und gewonnen; noch unzählige werden folgen. Ich kam mir vor wie John Wayne in Rio Bravo als Sheriff John T.
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