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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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tanzte Irrlicht an der Zellenwand; er presste beide Hände gegen die Tischkante und wandte sich um. »Dämon«, flüsterte er.
Unförmig prangte ein schwarzer Kopf an der Wand über dem Bett, riesige Ohren, dann zeigte er den mächtigen Nasenhöcker. »Zurück zur Hölle. Fort …« Das Kinn bebte. »Weg mit dir, bitte. Lasse mich …« Er wischte die Stirn, wusste, dass dort drüben sein eigener Schatten, nur ein Schatten, war und fühlte sich dennoch von ihm bedroht.
»Nein, setz dir den Satan nicht selbst auf die Schulter«, ermahnte er sich, kehrte dem Schwarzen den Rücken. Er benetzte die Kuppen von Daumen und Zeigefinger und brach den Docht halb aus der Flamme. Gleich wurde das Licht wieder ruhig und still.
Entschlossen tunkte Martin die Feder ins Fass.
»Geliebter Vater.
Seit jenem Festtag im Mai drängt es mich, diesen Brief zu schreiben. Doch was am Tag so mutig beschlossen, das wurde mir in der Nacht von ängstlichen Bedenken wieder erwürgt. Ich will noch einmal wagen, die Frage zu stellen, und hoffe, erflehe eine gnädige Antwort von Euch. Zuvor aber sollt Ihr wissen, mit welchem Eifer und Ernst Euer Sohn bemüht ist, die Pflichten des Mönchseins zu erfüllen …«
Ein Kratzen, Schaben an der Tür. Martin drehte den Kopf langsam zur Seite, blickte über die Schulter, horchte …
Die aneinandergefügten Bretter knackten.
Er ballte die rechte Hand zur Faust, dabei vergaß er die Schreibfeder; sie zerbrach, die Spitze drang ihm in die Haut. Durch den Schmerz jäh ermutigt, stand er vom Schemel auf. In zwei großen Schritten war er an der Tür und beugte sich zum Guckloch. Wenige Herzschläge lang sah er in das fremde Auge, sah den weißen Schimmer, das Glühen. Dann war das Guckloch nur noch ausgefüllt von Dunkel.
Martin schob die Zellentür leise auf. Nichts. In der Finsternis schien der lange Flur leer zu sein. »Ich weiß, dass einer von euch da versteckt ist.« Er kehrte in den engen Raum zurück und blieb vor dem Tisch stehen. »Ist es Neid? Vielleicht sogar Hass?« Er presste die Handflächen vor die Augen. »Ich bin Mönch geworden und will Mönch von ganzem Herzen sein. Ist mir das vorzuwerfen?«
Schon bald nachdem er an die Pforte des Augustinerklosters geklopft hatte, war ihm der Spott seiner Mitnovizen entgegengeschlagen. »Ein Eiferer.« »Ein Streber.« »Bruder Martin will sich bei den Oberen beliebt machen.«
Das Mittagsmahl im Refektorium war vorüber. Draußen mussten sich die jungen Männer in einer Reihe aufstellen, und der Novizenmeister ging von einem zum nächsten, prüfte den Sitz der weißen Tunika, die Kapuze, den Schulterkragen, er rückte an den zweifingerbreiten Ledergürteln. »Gott will sicher keine Prunkgewänder sehen, aber sauber und gepflegt sollen seine Diener daherkommen.« Tag für Tag begann die Belehrung mit diesem Satz. Es folgte Regel auf Regel: Zwei Stunden nach Mitternacht rief die Glocke zum ersten Gebet. » … und ich verlange, dass ihr in der Kirche kniet, noch ehe das Läuten aufhört …«
Unbemerkt von ihrem Lehrer sahen einige gelangweilt zur Decke oder versuchten, mit Grimassen den Nachbarn zum Lachen zu verführen. Nur mit diesem Martin aus Mansfeld war kein Scherz zu treiben. Im Gegenteil, er befolgte jedes Gebot, sah allein die Pflichterfüllung und erntete viel Lob der Oberen. Für diesen Übereifer hatten sich seine Mitnovizen gerächt. Hinter seinem Rücken zischelten sie giftige Verwünschungen. Waren Arbeiten verteilt worden, so hatten sie es geschickt verstanden, dass ihm die Reinigung der Abtritte übertragen, dass er aufs Land zum Betteln entsandt wurde …
»Und ich habe es ohne Murren getan«, seufzte Martin. Mit Inbrunst hatte er dann Armut, Gehorsam, Keuschheit gelobt, sein Leben mit der Mönchskutte verbunden und damit das im Gewitter gegebene Gelübde erfüllt. Die Stufen bis zur Priesterweihe war er in zwei Jahren hinaufgeeilt, und auch dieser Erfolg gefiel einigen Mitbrüdern nicht, sie ließen ihn den Neid spüren und suchten Fehler …
Ein verletzter Blick zum Guckloch. »Selbst während der Nacht belauert ihr mich.« Martin wählte einen neuen Gänsekiel, schnitt ihn an, mit einem Seufzer beugte er sich wieder über den Brief. »Geliebter Vater …«
Er überflog die wenigen Zeilen, wollte weiterschreiben, zögerte und besah die Anrede. Die Buchstaben erschienen ihm zu groß, der Inhalt ohne Respekt. Martin strich »Geliebter Vater« durch und ersetzte es mit »Lieber Vater«. Dann berichtete er weiter.
»Auf Befehl meines Oberen

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