Riemenschneider
nicht, irgendwann guckt auch er genauer hin.«
Die Sonnenwärme des Tages nistete noch in der Werkstatt. Auf dem Weg vom Haus über den Hof hatte Magdalena ihr großes Schultertuch fester umgeschlungen und sogar leicht gefröstelt. »Wie rasch es im Herbst abkühlt.« Hier aber war es ihr gut. Sie liebte den vertrauten warmen Geruch nach Holz und diese besondere Stille, wenn alle Gesellen gegangen waren, kein Sägen, Klopfen und Schaben mehr. Eine Stille zum Ausatmen, dachte sie. Meinetwegen könnte er mich jeden Abend einladen.
Meister Til saß ihr gegenüber. Als Tisch diente ein Holzklotz. »Lass uns erst mal einen Schluck nehmen.« Er reichte ihr den Becher. »Auf unsere gute Zeit!«
Obwohl es draußen noch nicht dunkel war, hatte er rundum einige Öllichter angezündet und die schon fertig geschnitzten Apostelgruppen für den Windsheimer Altar wie zum Schutz der Sitzecke näher herangerückt. So viel Mühe gibt er sich sonst nicht, wunderte sich Magdalena, wenn überhaupt, sorge gewöhnlich ich für etwas Gemütlichkeit. »Ja, auf einen festlichen Herbst.« Sie hatte das »festlich« besonders betont, erzielte aber damit keine hochgezogenen Brauen oder gar ein zustimmendes Nicken, und so setzte sie gleichmütig hinzu: » … und hoffentlich nicht so kalten Winter.« Sie trank einige Schlucke. »Wir haben heute über achtzig Kerzen gezogen, die Gertrud und ich.«
Das Tuch war den Rücken hinuntergerutscht, mit der freien Hand legte sie die Zipfel nacheinander lose im Schoß zusammen. Weil Magdalena keine Zeit geblieben war, hinüber zum Haus des Stadtschreibers zu laufen und sich in ihrer Dachwohnung umzuziehen, trug sie wie am Morgen ihr leichtes hellblaues Kleid mit dem runden Ausschnitt und hatte das offene Haar nach dem eiligen Waschen vorhin nur mit einem Stirnband zurückgebunden. »Eure Tochter, Herr, sie ist wirklich eine hübsche junge Frau geworden. Und dabei kein bisschen leichtfertig. Und fleißig ist die Gertrud …«
»Genug.« Er schmunzelte vergnügt. »Ach, meine Eva. Du veränderst dich nicht, und das gefällt mir so. Aber du brauchst mir meine Tochter nicht anzubieten wie einen rotbackigen Apfel.«
»Hat dennoch lang genug gedauert, bis Ihr endlich über sie redet.« Magdalena nahm den Krug und füllte beide Becher, da er wieder schwieg, sah sie zu ihm auf und hätte beinah den Wein überlaufen lassen. »Herr? Ich dachte, Ihr wolltet … mir etwas sagen.«
»Einiges sogar und von großer Wichtigkeit.« Weil er, ohne abzusetzen, trank, versuchte sie es ihm nachzutun, schaffte es aber nicht bis zum Grund. Magdalena atmete tief, dass ihre Brüste gegen den Stoff des engen Oberteils drückten und sagte gespielt ernst: »Ich denke, jetzt bin ich gestärkt und kann die Wahrheit ertragen.«
»Du hast dich doch verändert.« Das Braun der Augen gewann einen samtenen Schimmer. »Jetzt verstehe ich, was dich von vielen Frauen unterscheidet: Deine Anmut hält stets mit dem Alter die Waage, weil sie von innen neu erblüht. Das ist dein Geheimnis.«
»Aber, Herr?« Erschreckt musste Magdalena schlucken. »Der Wein … So schöne Worte habt Ihr für mich noch nie gehabt. Nein, früher, ganz am Anfang schon mal, dann aber nicht mehr. Und heute ist sicher der Wein daran schuld …«
»Ich sage, was ich sehe.« Til runzelte die Stirn. »Und wenn ich dich anschaue, entstehen Bilder in mir.«
Er beguckt mich nur wie ein Bildschnitzer, dachte Magdalena etwas enttäuscht, also hat sich nichts verändert. Und sie erinnerte wieder an Gertrud: »Was ist nun mit Eurer Tochter? Ich weiß, die dürre Kupplerin war hier.«
»Hedwig Suppan ist eine sehr hilfsbereite Dame«, verteidigte er. »Sie kennt sich in der angesehenen Gesellschaft unserer Stadt außerordentlich gut aus. Und außerdem ist sie die Gattin eines meiner besten Freunde.«
Magdalena nippte an ihrem erneut gefüllten Becher. Über den Rand pflichtete sie ihm spöttisch bei. »Wie recht Ihr habt Herr, kein Hahn flattert in Würzburg über die Henne, ohne dass es diese Dame erfährt.«
»Immerhin hat sie einen ehrenwerten Mann für meine Tochter gefunden. Eine gute Partie.« Im Eifer der Verteidigung verriet der Meister nun endlich Namen und Stellung des zukünftigen Bräutigams.
Magdalena staunte. »Verzeiht, Herr, ich nehme alles zurück, was ich gerade über die Suppan gesagt habe. Hofschultheiß Bernhard Hopp, das ist wirklich ein stattlicher Mann.«
»Und gerecht. Er redet den Domherren nicht nach dem Mund, sondern fällt seine Urteile erst nach
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