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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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zur Sorge gewesen, immer hatte er sich zu helfen gewusst. Insgeheim führte er eine Liste über Schwächen und Verfehlungen der vornehmen Herrschaften an der Tafel des Bischofs, selbst die Fehltritte seiner Nachbarn um den Judenfriedhof notierte er sich. Geriet Bermeter in Geldnot, so wandte er sich an einen der Sünder, schilderte dessen Frevel in düsteren Farben und endete: »Nein, hab keine Angst. Ich bin ein Freund, niemand erfährt von dieser Sache.« Dann wartete er geschickt, bis Erleichterung den Schreck aufgelöst hatte, und setzte in treuherzigem Ton hinzu: »Jetzt, da wir uns vertrauen, könntest du mir aus einer Verlegenheit helfen …«
Meist gelang die Erpressung, meist erhielt er aus Dankbarkeit sogar mehr. Nur heute nicht. Dabei hatte der Tag so leicht begonnen. Auch als er sich in seinem Opfer getäuscht hatte und die junge Bäuerin nicht, wie so viele der armen Frauen vom Lande, nach Würzburg gekommen war, um sich als Hure etwas Geld zu verdienen, auch zu diesem Zeitpunkt war er noch guter Dinge gewesen.
»Meister Tilman Riemenschneider nimmt sich eine nackte Frau als Vorlage für die Eva.« Diese Information sollte genug einbringen, um die Spielschulden zu begleichen.
Beschwingt war Bermeter über den Fischmarkt geeilt, hatte sich in der Straße vom Dom zur Mainbrücke hin keine Zeit genommen, bei den Buden der Krämer, Sattler, Seildreher oder Tuchhändler stehen zu bleiben, um vielleicht die eine oder andere Neuigkeit aufzuschnappen.
Ehe er das Rathaus erreichte, stieg ihm schon der Duft nach Gebratenem in die Nase. Vor dem Grafeneckartturm und dem angrenzenden Stadthaus wendeten die Garköche auf Rosten große Fleischstücke, rührten in Suppenkesseln und priesen lautstark ihre Speisen an. Plagte ihn Hunger, blieb Hans Bermeter gewöhnlich bei ihnen stehen, erzählte hinter vorgehaltener Hand unzüchtige Einzelheiten über die Vornehmen aus der Umgebung des Bischofs und ließ sich mit Braten und Eintopf entlohnen.
Obwohl der Magen knurrte, verlangsamte er heute nicht den Schritt und betrat die Schenke des Stadthauses. Noch an der Tür stehend, genügte ihm ein schneller Blick, sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen. Das Glück war auf seiner Seite. »Ich hab’s geahnt.« So früh am Tag war kein Tisch in der Hauptstube besetzt, im offenen Nebenraum aber hockten einige Ratsherren bei Wein, Schinken und Brot, mit hochroten Gesichtern palaverten sie, einer übertönte den anderen; und vor Kopf der Tafel thronte der oberste Bürgermeister.
Leichtfüßig glitt Hans Bermeter durch die Schenke, dabei putzte er mit kurzen Fingerschlenkern seine Rockärmel. Einer der Stubenknechte hielt ihn auf. »Wo willst du hin? Die wollen ungestört bleiben.« »Ich muss mit dem Bürgermeister reden. Hab ihm was Wichtiges zu melden.«
»Aber, ich … der Befehl …«
»Die Sache ist heikel.« Bermeter tippte gegen die Brust des Dieners. »Hol ihn her, oder ich schreie es laut raus. Du kannst wählen.«
Mit hochgezogenen Schultern wagte sich der Stubenknecht ans Kopfende der Tafel, flüsterte, deutete auf den Spielmann, und wenig später verließ Bürgermeister Georg Suppan die Runde. Sichtlich verärgert kam er auf den Störenfried zu. »Was gibt es?«
Dem Kratzfuß schenkte der oberste der Stadtväter keine Beachtung, und bis auf ein kurzes Heben der Brauen schien ihn die Information kaltzulassen. Als Bermeter jedoch für sein Schweigen eineinhalb Gulden verlangte, schnaufte er, bewahrte dennoch Ruhe und faltete die Hände vor dem Bauch. »Also ein Modell, sagst du? Warst du dabei? Hast du zugesehen?«
Bürgermeister Suppan wartete nur das Kopfschütteln ab, zu Wort ließ er den jungen Erpresser nicht kommen. »Ich kenne deinen Vater. Mag der alte Hans sich auch hin und wieder vor dem Wachdienst drücken, mag er auch des Öfteren zu viel trinken. So einer ist mir immer noch lieber als solch ein aalglatter Taugenichts, wie du es bist. Nein, halt jetzt dein Lästermaul, sonst lasse ich dich sofort ins Loch sperren. Keinen Pfennig ist mir das Gerücht wert. Und jetzt verschwinde.«
Das war heute Mittag gewesen.
Hans Bermeter schleppte sich vom Spiegel hinüber zum Bett, stöhnend ließ er sich auf die Matratze sinken. »Diese feigen Köter. Zu zweit waren sie.« Er starrte zum zuckenden Lampenschein an den Dachbalken hinauf.
Bis spät in den Nachmittag hatte sich Hans Bermeter vergeblich in der Stadt bemüht, die Summe aufzutreiben, und sein Schwung war längst erlahmt. Er wollte hinauf zur Burg, vielleicht

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