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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Julius nach Rom zurück, der eisgraue Bart verwildert, das hagere Gesicht gezeichnet. Einige Wochen zwischen Ohnmacht und Aufbäumen folgen, dann, am 17. August bricht der Stellvertreter Christi zusammen. Reglos liegt der Achtundsechzigjährige im Schlafgemach des Vatikanpalastes.
»Der Papst ist tot.« Erst nur ein Flüstern, treppauf, treppab. Ehe das Gerücht nach draußen dringen kann, raffen die Bediensteten alles Wertvolle an sich, Bilder, Schmuck, Edelsteine, sie plündern die Privatgemächer. Entsetzt muss der herbeigeeilte Medicus mit ansehen, wie die Schamlosen sogar das Linnen unter dem Körper fortzerren. »So haltet doch ein. Lasst mich den Heiligen Vater untersuchen.« Niemand hört das verzweifelte Flehen des Leibarztes.
»Der Papst ist tot!«, schreit es jetzt aus den Fenstern über die Stadt. Und Rom beginnt zu brodeln, Abertausende Bürger erheben sich, Priester und Adel bewaffnen sich, aus allen Winkeln und Nischen treten nun die heimlichen Gegner offen ans Licht.
Am 22. August sind die Schreiben aufgesetzt. Kuriere springen in den Sattel. »Der Papst ist tot.« Sie haben Befehl, die Nachricht an alle Fürstenhöfe Europas zu bringen. Da schlägt der Totgeglaubte die Lider auf. »Gib mir Wein!« Doctore Scipio Lancelotti dankt Gott für das Wunder und reicht mit zitternden Händen dem Patienten einen Kelch Malvasier.
Kuriere hetzen den Kurieren nach. Die Botschaft hat sich geändert. Eine neue Depesche soll den Regierenden unterbreitet werden …
Wien

Im Audienzsaal nimmt Kaiser Maximilian das Schreiben des Heiligen Stuhls entgegen. Nach der Lektüre lehnt er sich zurück. »Papst Julius ist schwer erkrankt. Dieser kriegssüchtige Wüstling war sogar schon im Arm des Todes. Sein Körper ist geschwächt.« Ein unmerkliches Zucken umspielt die Mundwinkel des Habsburgers. Mit beiden Händen lüftet er den samtenen Hut und blickt hinein, in der Erinnerung an den Tag seiner Krönung leuchten seine Augen, als sähe er wie damals im Dom zu Trient einen goldenen Reif über sich schweben. »Kaiser sein ist nicht genug …«
Nein, nicht nur ein Gaukelspiel der Fantasie. Maximilian lässt den Hut auf dem Finger kreiseln, und die bestechenden Vorteile flattern als Spruchbänder vorbei: Das ewige Ringen zwischen Kaiser und Papst hätte ein Ende, und Italien, dieses von immer neuen Kriegen gebeutelte Land, käme zur Ruhe … die Schlüssel zu den übervollen Opferstöcken der Kirche wären endlich in den richtigen Händen … diese Einheit würde das Römische Reich Deutscher Nation auf den Gipfel der Vollkommenheit heben … Max hält das Karussell an und kostet mit leiser Stimme: »Papstkaiser? Nein, besser noch: Kaiserpapst.« Mehr und mehr beflügelt ihn die Idee. Er will, er muss sie mitteilen. »Margarethe, du meine so kluge Tochter, du sollst als Erste in den Plan eingeweiht werden. Deine Meinung ist mir wichtig.« Er ruft nach seinem Sekretär. »Ein Brief an die Erzherzogin Margarethe, Regentin der Niederlande …«
Flandern, Mechelen

Die Mußestunde am Nachmittag verbringt die Fürstin heute mit den Kindern im Schlossgarten. Ihre drei Nichten tollen auf der Wiese, sie laufen einem bunt schillernden Lederball nach; wenn eine ihn gefangen hat, wird sie von den beiden anderen so lange beschimpft und an den Haaren gezogen, bis sie aus lauter Not den gerade gewonnenen Besitz wieder von sich wirft. Kein Eingreifen der Tante, kein ermahnendes Wort, die Erzherzogin hält nichts von artigen Mädchen.
Neben ihr auf der Steinbank sitzt der elfjährige Neffe Karl, blass das Gesicht, zart die Glieder. »Warum muss ich so viel lernen? Latein, Mathematik …«
»Wenn du später die Kaiserkrone tragen sollst, dann ist eine gute Bildung …«
»Verzeiht. Aber Großvater Maxi scheint aus mir einen Schulmeister machen zu wollen.« Der Junge sieht die Erzherzogin aus großen Augen an: »Bitte, Frau Tante und gute Mutter, ich habe so wenig Freude. Könnt Ihr nicht mit Herrn Wilhelm und Herrn Adrian sprechen?«
Margarethe will tröstend den Arm um die schmächtigen Schultern legen, weil aber ihr engster Berater sich eilig nähert, begnügt sie sich mit einem leichten Streicheln der Wange. »Ich werde sehen, was ich ausrichten kann.«
»Hoheit, um Vergebung, dass ich störe. Ein Schreiben seiner Majestät Kaiser Maximilian ist soeben angekommen.« Der Baron verneigt sich und überreicht den Brief.
Margarethe erbricht das Siegel und überfliegt die Zeilen. Ein Schreckensruf, sie presst die Hand vor den Mund, dann schüttelt

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