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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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schwieg der Bürgermeister, betrachtete nur die Zeichnung. »Wie ein Wunder«, flüsterte er und stand auf, um noch genauer zu sehen, dabei zerknüllte er das Schnupftuch am Kinn. »Dass du so mit Kohle malen kannst. Ich mein, so lebendig sieht der Körper aus. Aber …« Als wollte er sichergehen, nicht überrascht zu werden, blickte er kurz zum Eingang des Haupthauses, dann deutete er auf das Vlies unterhalb des Bauches. »Da, da muss doch noch was hin? Oder?«
Das Nicken des Meisters beruhigte ihn, und er löste den Blick vom Leib der Eva. Ihr Haar wellte sich vom Scheitelansatz, rahmte aber nur ein leeres Oval. Dafür umlächelten vier Gesichter das Haupt, im Ausdruck ähnlich, und doch gehörten sie zu verschiedenen Frauen. »Welches nimmst du?«
»Wähle du, Bürgermeister.«
Ohne zu zögern, wies der Finger auf das erste. »Weil die Augen mich so ansehen, so als würde ich ihr gefallen. Ach, ich kann’s nicht sagen, warum.«
Eine Weile schmunzelte Til vor sich hin. Drei Gesichtsstudien hatte er aus der Fantasie entworfen, die erste aber war Magdalenas Antlitz, das er von der Zeichnung damals übernommen hatte. »Du hast gut gewählt. Dennoch werde ich das dritte Gesicht nehmen. Der mandelförmige Schnitt der Augen gibt Eva noch mehr Jugendlichkeit.«
»Deine Entscheidung. Du bist der Meister.« Georg Suppan wurde ernst. »Und was sag ich jetzt meiner Frau? Oder wenn ich von irgendwem gefragt werde?«
»Gerade eben hast du das Gesicht mit ausgewählt.« Til hob die Schultern, leiser Schalk nistete in den Augenwinkeln. »Ohne zu lügen, könnte man sagen: Der Bildschnitzer hat vier Entwürfe vorgelegt. Und nach eingehender Prüfung hat sich der Bürgermeister für eine Eva entschieden.«
Verblüfft hielt Georg Suppan den Atem an, die Stirn krauste und glättete sich wieder. »Das … das übernehme ich.« Er tippte dem groß gewachsenen Mann gegen die Brust. »Nur freundlich und sanft, wie die Leute meinen, bist du gar nicht. Ja, einverstanden. Keiner wird glauben, dass du gleich vier Weiber als Modell in deine Werkstatt bestellt hast.«
Sein Bauch wippte vor Vergnügen. »So eine Antwort hätte mir im Stadtrat auch einfallen können. Einverstanden, Riemenschneider. Sorg dich nicht, kein Gerücht wird entstehen. Du hast mein Wort.«
Wie zur Bekräftigung setzte in diesem Moment vom Dom her das Mittagsläuten ein. Immer noch schmunzelnd, verabschiedete sich Georg Suppan und verließ beinah beschwingt den Hof.

4

V ier Reiter waren es, die Gesichter verborgen unter Hüten mit breiter Krempe und einer gebuschten Feder, ihre dunklen Staubmäntel hatten längst die Farbe verloren. Zwei ritten dem leeren Ochsenkarren vorweg, die beiden anderen begleiteten ihn an den Seiten, und auf der Kutschbank saß ihr Anführer. Locker hielt er die Zügel in der behandschuhten Rechten, seinen linken Stiefel stemmte er gegen den Holm. Es war Sonntag, der achte September des Jahres 1493. Ein wolkenverhangener Tag.
Im Haus der Schwägerin stand Magdalena nahe dem Küchenfenster. Angetan mit Kopftuch und einem breiten Schulterschal über ihrem Festtagskleid war sie hergekommen, um Els zum Kirchgang abzuholen. Draußen sah sie das Gespann und die düsteren Männer vorbeiziehen. »Fremde? So früh am Tag? Was die hier wollen, hier in unserer Gegend?«
Els setzte die Schüssel auf dem Tisch ab, warf das Trockentuch dazu und kam herüber, nur ein Blick, heftig schreckte sie zusammen. »Blutzapfen. Heilige Maria, sei uns gnädig!« Beide Hände presste sie schützend an die Wangen. »Vom Kloster … Das sind gedungene Waffenknechte.«
Magdalena verstand ihre Angst nicht. »Beruhige dich, sie halten nicht an.«
»Ach, Mädchen, du bist erst seit einem Jahr hier. Du weißt nicht, was wir von denen all die Zeit haben erleiden müssen.« Sie band die Schürze ab, tastete fahrig nach dem Sitz des hochgesteckten silbergrauen Haarkranzes. »Mein Balthasar, auch jeder Nachbar zittert, wenn der Abt uns die Blutzapfen schickt …« Els stockte. »Wenn sie hier nicht halten, dann …«, schon zog sie Magdalena mit sich. »Rasch. Komm!«
Durch die Hintertür verließen die Frauen das Haus und hasteten zwischen den Gemüse- und Blumenbeeten aus dem Garten.
»Wo willst du hin? Sag’s doch.«
Els raffte ihren Sonntagskittel und stürmte den Wiesenhügel hinauf. Ohne sich umzudrehen, rief sie: »Zum Bruder. Begreif doch, die Kerle wollen zu Jakob. Vielleicht können wir ihn noch warnen.«
Hart schlug das Herz. Gefahr. Jakob ist in Gefahr. Er wollte

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