Riemenschneider
Blut unter dem Halsband pochen. Warum unterhielt er sich nicht mit den Stadträten und Freunden wie stets nach der Sonntagsmesse? Heftiger schlug das Herz. Und sie ahnte, warum er ein Gespräch mit ihr außerhalb wollte und sie nicht einfach im Wolfmannsziechlein in die Werkstatt rief. Umgehen kann ich es nicht, dachte sie, aber wenn ich Rupert helfe, dann wird es auch für mich etwas leichter. »Es ist tatsächlich Sonntag, Herr.« Sie hob das Kinn. »Da gehört nun mal die Frau zum Mann. Aber wenn Ihr befehlt …«
»Nein, nein. Nur eine Bitte.« Meister Riemenschneider sah sich rasch nach den Freunden um, Georg Suppan führte lautstark das Wort und hielt alle in Bann, als Einziger blickte Martin Cronthal leicht verwundert zu ihm herüber. »Nur ein Vorschlag.« Til senkte die Stimme. »Und doch ist es dringend.«
»Lasst Rupert mitgehen.« Magdalena lächelte dünn. »Sonst wundern sich die Leute womöglich, wenn der Herr allein mit seiner Magd am Sonntag spazieren geht.«
»Mir ist nicht nach Spaß zumute.« Til befeuchtet die Unterlippe. »Aber dein Vorschlag ist richtig. Gehen wir gemeinsam. Ich wollte ohnehin zum Lindleinsberg. Seit dem Erdrutsch im letzten Winter hab ich mir den Weinhang noch nicht angesehen.«
Der Bildschnitzer ging schweigend voran durchs Pleichacher Tor und weiter am Bachlauf entlang, bald schon bog er ab und folgte dem schmalen Weg hinauf in die Weinberge, der Schultermantel bauschte sich leicht im Wind und ließ die große Gestalt noch machtvoller erscheinen. Zwei Schritte hinter ihm folgte das Dienerpaar.
Keiner sprach ein Wort. Hin und wieder sah sich Meister Til über die Schulter nach den beiden um, und Magdalena suchte seine Augen, wünschte, dass er endlich das Schweigen bräche, er aber blickte wieder wortlos nach vorn.
Unterhalb der Höhe gingen sie nun quer zum Berg, durch sorgfältig beschnittene Rebstöcke. An den hochgebundenen Trieben zeigten sich bereits dicke grüne Knospen.
Am Ende des weiten, nach innen mild geschwungenen Südhangs, kurz bevor der Berg sich nach Osten streckte, blieb Tilman Riemenschneider abrupt stehen und nahm das Barett ab, knautschte es zwischen den Händen.
Auch Magdalena und Rupert standen betroffen da. Von der Höhe bis hinunter ins Tal hatte der Erdrutsch eine lange aufgerissene Wunde hinterlassen: Wie rohes Fleisch die Stellen, wo Fels zu sehen war, wie Schorf, wo Brennnesseln- und Gierschplacken wucherten, dazwischen staken Rebwurzeln, und unten türmte sich der Berg aus Erde und Steinen. »Eine Sintflut«, murmelte Til. »Sie hat alles mitgerissen.«
Das Ausmaß des Unglücks löste die fremde Spannung. Magdalena stellte sich mit Rupert neben ihn. »Warum hier? Warum Euer Weinhang und nicht auch die anderen?«
»Vielleicht ein Zeichen? Wer weiß?«
»Nein, sagt das nicht.« Sie ballte unbemerkt eine Faust. »Warum sollte Gott Euch strafen? Ausgerechnet den Mann, der ihm so viele Heilige schnitzt?«
»Da, Herr.« Rupert deutete nach unten, von rechts und links ragten noch geschichtete Steine in den Hang. »Da hat der Schlamm die erste Trockenmauer durchbrochen. Dann hielt nichts mehr. Eine Terrasse ist dann auf die darunter, und dann hat gar nichts mehr gehalten.«
Noch gefangen vom Anblick, legte Til seinem Knecht den Arm auf die Schulter. »Wir legen einen neuen Weinberg an. Schichten neue Mauern und tragen guten Boden auf.«
»Das dauert, Herr.«
»Wir lassen uns alle Zeit, die nötig ist.«
Magdalena wollte die Nähe festhalten und scherzte: »Wir, Herr? Wollt Ihr neben der Werkstatt und dem Stadtrat auch noch im Weinberg arbeiten? Oder meint Ihr mit wir den Rupert?«
Seine Miene hellte auf. »Ich dachte vor allem an dich.« Gleich wieder ernst fuhr er fort: »Jeder von uns kann nach seinen Kräften und so, wie er abkömmlich ist, mithelfen. Dennoch werde ich für die groben Arbeiten hin und wieder Tagelöhner einstellen.« Er wandte sich direkt an Rupert. »Ich dachte mir, du solltest den Wiederaufbau planen und auch die Aufsicht führen. Traust du dir das zu, neben den Pflichten im Wolfmannsziechlein?«
»Ihr … Ihr …« Freude hielt die Worte fest, Rupert schlenkerte mit den Armen, endlich brachte er hervor: »Das wird schon gehen, Herr. Danke!«
Der Meister setzte das Barett wieder auf. »Ich fragte dich vorhin nach der Kirche, ob ich mit deiner Frau etwas besprechen kann. Jetzt wäre Gelegenheit dazu.«
»Wie Ihr wünscht.« Der Knecht nickte in Richtung des Erdabgangs. »Und ich steig mal zur Bruchstelle runter. Vielleicht sind die
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