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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Schlaftrockenheit vom Gaumen, dann schob er den Samtvorhang beiseite. Vor dem Gitterfenster kniete Bertel, ein abgehärmter Höfler, dem die Blutzapfen bis auf eine Kuh alles Vieh genommen hatten, der dennoch niemals den Schuldenberg abtragen konnte. »Mein Sohn?«
Bertel schlug das Kreuz und presste die Hände vor der Brust zusammen. Sein Atem ging schnell, kaum gehorchte die Stimme: »Im Namen des Vater des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.«
»Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir …«
»Amen«, unterbrach Bertel, doch so, wie es vorgeschrieben war, fuhr der Hirte von Merzhausen in großer Ruhe fort: » … wahre Erkenntnis deiner Sünden und seiner Barmherzigkeit.«
»Amen«, antwortete Bertel überhastet, dann verkrallte er die Finger im Hemdkragen. »Ich hab gesündigt, weil ich nicht Nein gesagt hab. Aber da hatte ich Angst. Und sie haben mir doch vier Gulden versprochen. Vier Goldstücke! Da hätte ich Ruhe vor den Blutzapfen, hab ich gedacht. Und ich hab gedacht, dass es auch noch für eine zweite Kuh reicht. Und dann muss es doch besser werden. Also hab ich zu den Heiligen geschworen und versprochen, dass ich’s mache, und hab die sechs Schillinge genommen, die sie mir als Anzahlung gegeben haben.« Atemlos rang Bertel nach Luft, dann setzte er hinzu: »Und jetzt hab ich keine Ruhe mehr.«
»Mein Sohn, versuche dich zu sammeln«, ermahnte Pfarrer Rupertus leicht ungehalten. »Wenn der Vater im Himmel dir verzeihen soll, muss er vorher verstehen, was du getan hast. Also berichte von vorn und nacheinander.«
»Also, ich war vor zwei Tagen mit dem Gemüsekarren in Freiburg und bin dann mittags wieder auf Merzhausen zu. Am Wäldchen hinter der Brücke haben mich drei Hausierer angehalten. Erst dachte ich, sie wollten mit und solange ihre Kiepen auf meinen Karren laden.«
Doch gleich nach der höflichen Begrüßung hatten die drei den Bauern gepackt und in den Wald gezerrt. Ohne wirklich zu schlagen oder zu verletzen, bedrohten sie ihn mit langen Messern, stießen den Geängstigten hin und her, bis er auf die Knie fiel.
»Dann waren sie plötzlich freundlich. Und gesagt haben sie: Jetzt sei die Probe vorbei. Jetzt könne ich reich werden, wenn ich wolle. Und ich dachte an all mein Elend und hab gesagt, dass ich will.«
Die drei Hausierer hatten Bertel den Eid des Stillschweigens abgenommen und ihn als neuen Bundschuher eingeschworen. »Und ich hab gefragt, wo denn bei dem Aufruhr der Reichtum für mich herkommt? Und da hat einer mit den sechs Schillingen vor meiner Nase geklimpert.« Bertel war ausersehen, am Tag des Angriffs auf Freiburg das Gasthaus Zum Löwen in Brand zu setzen. »Damit’s Feuer sich in der ganzen Stadt ausbreitet«, flüsterte er furchtsam, als sähe er das Flammenmeer vor sich. »Aber ich kann’s nicht, Herr Pfarrer. Und jetzt ist alles falsch in mir drinnen. Weil, bei den Heiligen hab ich geschworen, eine Sünde zu machen. Aber wenn ich meinen Schwur breche, ist es auch eine Sünde.«
Die Ruhe des Hirten war verflogen, sehr eilig kam die Frage: »Bereust du, mein Sohn? So sage es!«
»Ich bereue, dass ich Böses getan …«
»So spreche ich dich los von deinen Sünden.« Hastig schlug Pfarrer Rupertus das Kreuz und murmelte: »In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti.«
Mit dem Amen seines Beichtkindes verließ der Priester bereits das Gehäuse, kam herum und zog den Bauern am Arm hoch und in Richtung des Chorraums. »Los, nun frag mich, was du tun sollst. Alles, was ich da drinnen gehört habe, darf ich hier draußen nicht mehr wissen. Also sag mir, dass sich ein Bundschuh im Land zusammenrottet, dass die Aufrührer dich angeworben haben, damit du Freiburg in Brand stecken sollst.«
»Aber ich will’s doch gar nicht.«
»Und ich will dir und uns helfen.«
Endlich erleichtert und voll neuen Vertrauens, wiederholte Bertel seine Aussage außerhalb des Beichtstuhls.
Am nächsten Morgen suchte der Pfarrer seinen Freund, den Magister Johann Cäsar, an der Universität Freiburg auf, und bereits gegen Mittag informierte der Gelehrte den Stadtrat.
Nicht vergessen war der Bundschuh von vor vier Jahren. Damals gelang es gerade in letzter Stunde noch, den Brand zu ersticken, nun sollte schneller, gründlicher, noch härter durchgegriffen werden.
Kein lauter Alarm wurde gegeben. Kuriere überbrachten die Warnung den umliegenden Regierungen, und von diesen wurden zunächst alle Polizeibehörden angewiesen, ein Auge insbesondere auf die Fahrenden, auf die Gaukler und Spielleute, die

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