Riemenschneider
Bettler und Hausierer zu werfen.
Joß Fritz war derweil unterwegs ins Elsass. Letzte Vorbereitungen für den 8. September mussten getroffen werden. Dort, jenseits des Rheins, ahnte der sonst so Wachsame nichts vom Aufhorchen der Behörden im Breisgau.
Als die drei Hausierer jedoch bei seinem obersten Werber erschienen, um sich das Kopfgeld für den neuen Bundschuher abzuholen und lachend vom Überfall auf den armen Bertel berichteten, hatte Michel ein erstes Ziehen im feisten Nacken verspürt. Zunächst wusste er sich keinen Reim darauf zu machen, dann aber wurde er Zeuge, wie ein Wachtrupp vier Bettler auf der Straße nach Kollmarsreute ergriff und wegführte.
»Kann sein … kann aber auch nicht.« Mit geschnürtem Bündel stand er oben im Gasthaus Rebstock vor Else, und Schweiß perlte vom kahlen Schädel über Stirn und feiste Wangen. »Ist ja nur eine Vermutung. Aber komm mit. Lass uns runter ins Markgräfliche. Da an der Schweizer Grenze arbeiten wir weiter. Und wenn’s brennt, sind wir gleich in Sicherheit.«
»Und meinen Joß lässt du hier im Stich?« Voller Verachtung maß sie ihn mit dem Blick. »Feiger Fettwanst!«
Die Beleidigung glitt an Michel von Dinkelsbühl ab. »Um deinen Mann musst du dich nicht sorgen. Der entwischt immer, den können nicht mal zehn Ketten halten. Aber wir, so Menschen wie ich und du. Wir sind nicht so stark.«
»Wie klein das Großmaul geworden ist? Auch wenn mein Joß dir so vertraut, ich hab dich in den letzten Wochen erlebt und kenn dich besser. Du hast dir doch deinen Spaß gemacht, wenn die Männer mir ans Kleid gingen. O Michel, in Wahrheit bist du eine Maus.«
Nun stand in seinen Augen doch ein heimtückisches Glitzern. »Wenn du nicht das Weib von ihm wärst, dann …«
»Was dann?« Else winkte ab. »Ich hab keine Angst vor dir. Verschwinde. Such dir da unten eine andere Dumme, die für dich die Bauern anschleppt. Ich geh nach Waldkirch. Da beim Stoffel warte ich auf meinen Joß.« Ohne ihn weiter zu beachten, drückte sie die Kammertür zu.
2. September 1517: Gegen Mittag ließ der markgräfliche Vogt zwei Gaukler am Nordtor von Lörrach festnehmen und zum Verhör hinauf zur Burg Rötteln schaffen.
Auf die Frage nach Namen und Herkunft, antwortete einer der beiden: »Michel von Dinkelsbühl.«
Und ohne Folter verriet der oberste Werber den Bundschuh. »In sechs Tagen soll der Sturm in Rosheim losbrechen, weil die meisten Rosheimer am 8. September auf der Kirchweih in Zabern sind. 2000 Bewaffnete werden einrücken und die Stadt besetzen.« In der Hoffnung auf Straffreiheit gierte Michel danach, alle Orte anzugeben, in denen sich Aufrührer bereithielten. Sogar Namen und Personenbeschreibungen fehlten nicht auf der langen Liste. »Der wahre Hauptmann des Bundschuhs hat ein Muttermal auf der linken Hand. Am kleinen Finger trägt er einen breiten Silberring.«
Jedes Geheimzeichen der Bettler gab er preis. Und schließlich entlarvte der enge Vertraute des Rädelsführers den großen Einsatzplan, von dem nur die Hauptleute und er wussten …
Am 8. September 1517 wehte keine Fahne der Empörung, weder im Elsass noch irgendwo im Schwarzwald. Michel von Dinkelsbühl hatte bereitwillig den Bundschuh verraten, jedoch als Lohn schlug ihm der Henker bei Tagesanbruch den nackten Schädel vom Rumpf.
Zur gleichen Stunde stieß Joß Fritz in der Nähe von Überlingen am Bodensee seinen Kahn aus dem Uferschilf. Nebel lag noch über dem Wasser. Ruhig zog er die Ruderblätter und bald verlor sich das Boot im Dunst.
Frau Else weinte beim Verhör. »Der Joß ist mein Verheirateter. Sonst weiß ich nichts. Lasst mich doch heim nach Lehen.« Sie weinte still und flüsterte: »Der Joß ist mein Verheirateter …« Am dritten Tag dann durfte sie nach Hause gehen.
25
S eit Mittag regnete es ohne Unterlass. Ein grauer Samstag in Würzburg. Angetan mit dem großen Kutschermantel, huschte Katharina eng an den Hauswänden entlang. Die weit vorragende Kapuze verbarg ihr Gesicht und das Haar. Von den Fenstern aus würde sie niemand erkennen, kein eiliger Passant würde unter dem Ungetüm aus gewachstem Leinenstoff die Tochter des Ratsherrn Riemenschneider vermuten, und doch wollte sie vorsichtig sein und nahm den Umweg durch die Gassen hinter dem Dom. Nicht weit vom Judenfriedhof drückte sie sich in eine Mauernische. Ihr Atem flog. Katharina spähte zurück. Die Gasse blieb leer. Die Stiefmutter hatte ihr keinen der Gesellen hinterhergeschickt. Vielleicht war ihr Verschwinden gar nicht bemerkt
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