Riemenschneider
ist doch nur ein Mönch«, versuchte das Ratsoberhaupt den großen Mann mit der wehenden Schaube aufzuhalten. »Ihr habt doch gehört, dass er sich in Heidelberg auf dem Kapitel seines Ordens verantworten muss. Den stutzen seine Oberen wieder zurecht. So wartet doch …«
Til verneinte mit der Hand und hastete allein den steilen, gewundenen Pfad hinab. Vor der Mainbrücke grüßten ihn Fischerfamilien im Sonntagsstaat. Er nahm es nicht wahr. Erst nachdem Til auf der Stadtseite des Flusses im Innern des Mauerbereiches angelangt war, blieb er stehen, blickte hinauf zum Schloss und glaubte, ein Glühen hinter den Fenstern zu sehen. »Nein, dies ist nicht das Werk des Versuchers«, ermahnte er sich.
Die Unruhe in seiner Brust schmerzte, aufgewühlt fanden die Gedanken keine Ordnung. Er nahm nicht den direkten Weg am Rathaus vorbei zur Franziskanergasse. Es zog ihn zum Judenplatz. Vor dem Eingang der Marienkapelle hob er die Augen zu Adam und Eva. »Wenigstens ihr habt Glück«, spottete Til mit bitterem Lächeln. »Die Menschen will der Augustiner nicht beseitigen.« Langsam ging er weiter, sah zu den Aposteln oben auf dem Strebpfeilern hoch. »Aber ihr Heiligen, ihr müsst euch vorsehen. Du, Petrus, du, Johannes, auch du, Thomas, und erst recht du, mein dicker Philippus. Nur gut, dass ich euch so hoch gestellt habe, so einfach erreicht euch da oben dieser Bruder Martinus nicht.« Immer wieder den Kopf schüttelnd, verließ er den Platz.
Im Wolfmannzsiechlein wurde er mit freudigem Gebell begrüßt. Der neue, junge Wachhund hüpfte an ihm hoch, wollte gestreichelt werden, doch der Bildschnitzer beugte sich nicht hinunter, ging weiter, sosehr auch das Werben nach Zärtlichkeit um ihn herumsprang.
Til betrat die Werkstatt und drückte die Pforte in der Flügeltür hinter sich zu. Der Geruch nach Holz gab ihm etwas Ruhe. Drüben im Steinsaal blieb er vor der mittleren Werkbank stehen. Gestaltet aus rotgeflecktem Salzburger Marmor, sah Bischof Lorenz von Bibra zu ihm auf. Das Antlitz schon fein geschliffen, die Mitra reich verziert, unter dem Kinn waren der weiche Hals und das Messgewand bereits in Umrissen herausgearbeitet. Til fuhr mit dem Finger den Lippen nach. »Hoher Herr, warum durfte dieser freche Mönch solche Ungeheuerlichkeiten vor Euch aussprechen? Ungestraft? Anstatt ihn einfach davonzujagen, habt Ihr ihm sogar einen Geleitbrief nach Heidelberg ausgestellt. Ich sah Euch sogar lachen, hoher Herr.« Til nahm einen schmutzigen Lappen und bedeckte damit die linke Gesichtshälfte. Vom Meißelbrett wählte er ein geschliffenes Zahneisen und legte es quer über das Tuch. »Was sagte dieser Doktor Luther? Zu schön? Meine Figuren sind zu schön? Vielleicht sollte ich bei Euch beginnen und das wahre Menschenantlitz in seiner ganzen Schrecklichkeit zeigen?«
Die Pforte quietschte in den Angeln. Eilig kam Tobias durch die Holzwerkstatt. »Meister? Aber es ist Sonntag?« Er deutete auf das Werkzeug. »Wollt Ihr etwa arbeiten?«
Til stand da, sein Kinn bebte, stumm sah er seinen Altgesellen an.
»Meister, ist Euch nicht wohl?«
»Doch, doch.« Aus den Gedanken gerissen, verbesserte der Bildschnitzer. »Nein, gar nicht. Mir ist sogar elend zumute.« Er nahm Meißel und Lappen an sich. »Da war ein Mönch zu Gast beim Bischof. Er hat Dinge gesagt, die ich nicht wiederholen will. Aber wenn sie wahr werden, Tobias …« Umständlich hängte er das Zahneisen zurück.
»Was ist dann, Meister?«
Til drehte sich zu ihm, er wollte scherzen, doch die Leichtigkeit fehlte. »Alle Heiligen werden nicht mehr gebraucht. Selbst die Muttergottes nicht. Und ich? Ich bin erst recht überflüssig.«
26
G lockenschlag … Einsam … Erst nach dem Verklingen folgte der nächste … Allein und mahnend an die Vergänglichkeit … Glockenschlag …
Vier Mönche, schwarz ihre Kutten, die Gesichter bis zum Kinn von den Kapuzen verhüllt, sie trugen den Sarg auf ihren Schultern die wenigen Stufen zum Leichhof zwischen Dom und Neumünster hinan. Gemessen folgte ihnen der Priester und führte den langen Trauerzug zwischen schlichten Steinkreuzen und aufwendig gearbeiteten Figurengruppen hin bis zur offenen Grabstelle. Frau Margarethe, die Herrin, die Hausfrau vom Hof Wolfmannsziechlein, war vor zwei Tagen verschieden.
Die frommen Träger setzten ihre Last auf den quer liegenden Balken ab, und ein jeder legte sich eines der Strickenden griffbereit vor die Füße. Ohne ordnende Anweisung fügte sich der Kreis um die Grube und ließ ihn nach außen mehr
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