Riemenschneider
ich zur Ratssitzung. Sei so gut und schau hin und wieder nach der Herrin.«
Was sie wirklich dachte, behielt Magdalena für sich und sagte nur: »Im Haus ist heute viel zu tun …«
»Ich weiß.« Einen Atemzug lang umspielte das alte jungenhafte Lächeln die Mundwinkel, und das Braun der Augen verdunkelte sich. »Bitte. Wenn es deine Zeit erlaubt. Und solltest du nach oben steigen, dann horch in jedem Fall an der Tür. Ist es still, so lass die Herrin schlafen. Auf dem Weg zum Rathaus sage ich dem Arzt Bescheid. Er muss vorbeikommen.« Meister Til ging bereits zur Werkstatt hinüber, und Magdalena hatte noch verstanden: »Er soll ihr mehr Laudanum geben, sonst kann ich die nächste Nacht wieder durchwachen.«
Jenseits der Grube sang der Pfarrer immer noch das Vaterunser. Trotz des Lateins wusste Magdalena die nächste Zeile, mit einem Mal atemlos, flüsterte sie: » … und vergib uns unsere Schuld.«
In ihr bäumte sich die Erinnerung auf. Nein, keine Schuld! Er und ich, wir haben darüber gesprochen, wieder und wieder. Nein, ich konnte nichts dafür.
An jenem Vormittag hatte Magdalena zusammen mit zwei Mägden im Keller die Vorräte kontrolliert und auf der Schiefertafel vermerkt, welche ergänzt werden mussten. Als die Frauen gerade die steile Treppe emporgestiegen waren, glaubte Magdalena aus dem ersten Stock einen Schrei zu vernehmen. »Habt ihr das gehört?« Die Mägde sahen sich an und schüttelten den Kopf.
»Ich sehe besser mal nach.« Magdalena eilte nach oben. Doch kein Jammern, kein Rufen drang aus der Schlafstube. »Hab mich wohl geirrt.«
Sie war wieder hinuntergegangen, hatte Rupert gebeten, den Hühnerstall auszumisten, und in der Küche dafür gesorgt, dass alle Schüsseln und Töpfe aus den Regalen genommen und gereinigt wurden.
Tonlos reihte sich Magdalena wieder in das Vaterunser ein: » … sondern erlöse uns von dem Bösen.«
Ja, die Herrin war eine böse Frau. Magdalena wischte mit dem Handrücken über die Stirn. Gegen Mittag war sie dann doch besorgt erneut die Wendeltreppe hinaufgestiegen. Immer noch war kein Laut von drinnen zu hören. Sie hatte geklopft und die Tür geöffnet. Blut und säuerlicher Geruch. Gekrümmt lag Frau Margarethe in einer schwärzlichen Lache auf dem Bett. Die Federdecke hatte sie im Todeskampf zu Boden gerissen, das Nachtgewand war hochgerutscht, ein Bein hatte sie noch zum Bauch angewinkelt, aus allen Körperöffnungen war ihr Inneres gequollen und klebte an Schenkeln und Hals.
»Ich bin zu spät.« Übergroß sah Magdalena die verkrallten Hände, sah, wie sich die Fingernägel tief in die Handballen gebohrt hatten, dennoch stammelte sie: »Meine Schuld. Beim Schrei schon hätte ich nachschauen sollen.«
Die Selbstvorwürfe pochten, quälten. Ein wenig vermochte sie der Medicus zu lindern: »Gegen diese Krankheit gibt es keine Medizin, da versagt jede ärztliche Kunst.« Später erst, als Meister Til nach Fragen und geduldigem Zuhören tröstend ihren Arm berührte: »So glaub doch, das war kein Leben mehr für sie! In Wahrheit war der Tod freundlich zu ihr.« Erst dann hatte Magdalena langsam zur Ruhe gefunden.
»Requiescat in pace.«
»Amen.«
Die vier schwarzen, gesichtslosen Mönche ließen den Sarg hinab. Mit der Trauergemeinde schlug die Erste Magd vom Hof zum Wolfmannsziechlein das Kreuzzeichen. Bei der Berührung ihre Brüste erinnerte sie sich an die schmerzhaften Kniffe. Soll die Herrin meinetwegen jetzt in Frieden ruhen, dachte Magdalena, aber sie war wirklich eine böse Frau.
Zur Belohnung gab es Honigmandeln an der Gewürzbude gleich unterhalb der Domstufen. Die beiden Küchenmädchen lutschten, kauten, und ehe sie schluckten, wartete schon die nächste Leckerei vor den Lippen.
Magdalena wollte mahnen: langsam. Hebt euch welche auf, dann habt ihr länger davon … doch gleich sank der schon halb erhobene Zeigefinger wieder, stumm beschimpfte sie sich selbst: alte Vernunftziege. Als ob du früher jemals langsam gegessen hast, wenn es was Süßes gab. Mit Vernunft vergeht jeder Lusthunger. »Nur erzählt es nachher nicht in der Küche, sonst wollen beim nächsten Mal alle mit zum Einkaufen.« Eifrig nickten die Mädchen und gaben mit vollen Mündern ihr Ehrenwort.
Magdalena schmunzelte. Heiterkeit, seit dem Tod der Herrin kehrten allmählich wieder Lachen und Leichtigkeit ins Wolfmannsziechlein zurück, ohne dass die Arbeit dadurch vernachlässigt wurde.
Am Morgen war sie mit den beiden jüngsten Gehilfinnen und dem Leiterwagen losgezogen, um Vorräte
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