Riemenschneider
er: »Hast du an das Geld gedacht?«
Sie seufzte bedrückt. »Viel konnte ich nicht nehmen. Es ist doch gerade Mitte April, das wäre aufgefallen. Erst Anfang Mai legt die Stiefmutter wieder neues Geld ins Küchenkästchen.«
Seine Stimme wurde fremder: »Wie viel hast du denn?« »Sei nicht böse, Liebster. Zwei Schillinge.«
Kurz und heftig ruckte er an einem ihrer Haarzöpfe. »Und ich dachte, du willst mir helfen.«
»Nicht, Liebster. Sei jetzt nicht böse, wir haben doch nur so wenig Zeit.«
Florian murmelte. »Schon gut, Kathi. Aus dem Würfelspiel wird heute ohnehin nichts.« Sein Lächeln ließ wieder die weißen Zähne blinken, und sie lächelte dankbar zurück.
Der Wein war eingeschenkt. Im Wappensaal des Schlosses hob Fürstbischof Lorenz von Bibra vorn an der Tafel den Kelch: »Der erste Schluck in diesem kleinen Kreis gilt unserem Gast aus dem fernen Wittenberg: dem Mönch Martinus.« Unter heftigem Zittern führte der geschwächte Landesherr den Kristallpokal zum Mund. An seinem Barett befestigt, hing über der linken Gesichtshälfte ein Seidenlappen.
Während er dem Gast zutrank, rutschte das Tuch beiseite und zeigte den zerfressenen, lichtlosen Augapfel und die von Narben zerfurchte Wange. Von Jahr zu Jahr mehr hinterließ die Franzosenkrankheit am Leib des Fürsten ihre Spuren. »Lieber Bruder Martinus …« Er lächelte und setzte den Kelch wieder ab. »Ich hoffe doch, dies ist die richtige Anrede, und Ihr habt Uns und den Honoratioren Unserer Stadt Würzburg zuliebe den Unruhestifter Doktor Luther unten im Kloster gelassen?«
Beifällig nickte der Dompropst, und die beiden Herren des Kapitels nickten ihm eifrig nach. Tilman Riemenschneider nestelte am Hemdkragen. Worauf spielte der Fürst an? Aus den Augenwinkeln beobachtete er Bürgermeister Zirckel, sah dessen gerunzelte Stirn, den bemüht klugen Blick und war erleichtert, nicht der einzige Unwissende zu sein.
»Eure fürstliche Gnaden.« Über den hohen Wangenknochen des Mönchs glomm ein Funkeln auf. »Sehr wohl weiß ich die große Ehre zu schätzen, heute Euer Gast sein zu dürfen …« Martin Luther wartete, bis seine Schnörkelei von allen wohlgefällig vernommen war, dann erst parierte er mit heller, klarer Stimme: »Wenn Ihr auf die Thesen anspielt, so will ich Euch versichern, dass es nicht meine Absicht war, diese herauszugeben. Ich habe mit ihnen keine Behauptungen aufgestellt. Sie sollten lediglich zu einer Disputation anregen.« Ein bitterer Unterton schwang mit: »Aber nun sind sie mir aus dem Stall gelaufen, sind so oft ausgebrütet und übersetzt worden, dass mich ihr Gestank inzwischen peinigt.«
»Höre ich da den Wolf wie ein Lamm sprechen?« Bischof Lorenz patschte einige Male die flache Hand auf den Tisch. »Ein Exemplar dieser Thesen liegt auch in meiner Kanzlei. Und ich gestehe, dass ich bei der Lektüre dem einen mir verbliebenen Auge hin und wieder nicht traute.« Er blies den Atem, und das Schutztuch blähte sich leicht vor der linken Gesichtshälfte. »Wie schreibt Ihr an einer Stelle: Die Ablassprediger irren, wenn sie sagen, dass durch des Papstes Ablass der Mensch von aller Pein los und ledig sei. Recht kühn formuliert, dieser … dieser Vorschlag.«
Ehe Luther antworten konnte, setzte der Dompropst erbittert obendrauf: »Ich zitiere: Die Gläubigen werden samt ihren Meistern zum Teufel fahren, die da meinen, durch Ablass ihre Seligkeit erworben zu haben.« Er schnaufte und wuchs an. »Das ist offener Protest …«
»Gemach, werter Freund, gemach«, besänftigte Bischof Lorenz. »Heb dir die Entrüstung für die Kanzel auf. Ehe wir uns ineinander verbeißen, sollten wir uns besser am ersten Gang des bescheidenen Mahls gütlich tun.«
Duft wehte den silbernen Schalen voraus; die Diener brachten gekochten Schweinskopf und Lendenbraten in saurer Soße. An der Tafel kehrte genussvolle Stille ein. Meister Til sah den Apfel im offenen Maul, die Augen im rosa aufgedunsenen Schweinsgesicht und nahm vom Lendenbraten. Nur gut, dass ich den gnädigen Herrn schon skizziert habe, als er noch etwas ansehnlicher war. Sonst wäre die Arbeit an seinem Grabmal noch mühseliger. Während er den Kopf vorbeugte, um sich nicht zu beschmutzen, und ein Stück soßetriefendes Bratenstück in den Mund schob, wagte er, einen prüfenden Blick auf den Fürsten zu werfen. Er wirkt nach wie vor kühl und freundlich. Dieser sanfte Dünkel aber fehlt mir noch. Das Kinn, ich werde es stärker hervorheben …
»In der Hauptsache wende ich mich gegen
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