Riemenschneider
die frechen Versprechungen dieser Ablassverkäufer.«
Aus den Gedanken aufgeschreckt, blickte Til zu dem sonderbaren Mönch hinüber. Auch die anderen Herren sahen verwundert von ihren Tellern auf.
Bruder Martin würgte den letzten Bissen hinunter, so als erstickte ihn beinah das Schweigen: »Dieser Tetzel. Wie er die Gläubigen in die Irre führt. Er verspricht den Ablass von aller Strafe und aller Schuld. Und dies nur für ein paar Münzen.«
»Gott verlangt nach Genugtuung.« Zur Bekräftigung pochte der Propst mit den Knöcheln der geballten Faust auf die Tafel. »Genugtuung für die sündigen Verfehlungen. Und wir, seine Diener, verteilen für einige Scherflein den von der Kirche verwalteten Gnadenschatz.«
»Verzeiht, dass ich widerspreche …«
»Nicht jetzt, Bruder Martinus …« Halb belustigt über das Temperament, hob der Gastgeber den Finger. »Ich möchte es mit meinen Köchen nicht verderben. Sie sorgen sich um das Wohl des Leibes.«
»Bitte, hochwürdiger Fürst. Wie kann es dem Leib wohlergehen, wenn der Geist gepeinigt wird?«
»Nun, wenn es so schlimm in Euch bestellt ist, so befreit Euch, Bruder Martinus. Jedoch keinen Sermon, den hebt Euch für die Anhörung in Heidelberg auf, jetzt bitte nur eine kurze Antwort für unsern verehrten Dompropst!«
Mit kurzem Rucken zog der Augustinermönch die Ärmel der schwarzen Kutte bis zu den Handgelenken: »Durch nichts in der Heiligen Schrift lässt sich beweisen, dass Gott von uns sündigen Menschen eine besondere Genugtuung fordert. Er verlangt keine Genugtuung wie ein Ritter nach einer Kränkung. Nein, Gott ist gnädig. Das Einzige, was er verlangt, ist die Reue im Herzen und den Vorsatz, sich zu bessern.«
»Bravo. Ich weiß nicht, ob mir das gefallen darf, aber es gefällt mir. Und nun …« Ein Wink zu den Dienern am Eingang, sie rafften den Vorhang nach rechts und links, und feierlichen Schritts trugen die Köche eine braunknusprige Köstlichkeit herein und setzten das Holzbrett vor dem Herrscher ab. Lorenz von Bibra kostete zunächst mit der Nase, seufzte übertrieben und hob beide Arme ein wenig an. Keine Geste gelang wirklich, jede seiner Bewegungen war nur noch Erinnerung an einen galanten Gastgeber. Verstand und Sprache aber überspielten den körperlichen Verfall: »Meine Gäste, der Kapaun im Brotteig gibt sich die Ehre. Genießt ihn Bissen für Bissen. Und glaubt mir, mit Safransoße übergossen wird Euch ein Stück Himmel zuteil. Nein, nein, Bruder Martinus bleibt ruhig, dies soll Euch kein Vorwand für eine weitere Kampfthese sein, sondern einfach nur die Einladung zur Gaumenfreude.«
Der Gast schwieg betroffen. Bei den Domherren aber löste der Scherz lautes Vergnügen aus, mit vollen Mündern lachten sie, und der Propst rettete mit der Hand gerade noch rechtzeitig den Bissen, ehe er zurück auf den Teller fallen konnte. Til nutzte den Lärm der Heiterkeit und neigte sich dem Bürgermeister zu. »Wenn es nicht so gut schmecken würde, wäre die Zeit vertan. Wer ist dieser Mönch?«
»Hab noch nie von ihm gehört«, gab Michel Zirckel ebenso leise zurück. »Aber der gnädige Herr hat ausdrücklich verlangt, dass wir vom Stadtrat anwesend sind.«
Dem Fürstbischof waren die gelangweilten Mienen und das Getuschel am unteren Ende der Tafel nicht entgangen. Nachdem Knochen und Brotreste abgetragen waren, lockte er seinen Ehrengast aufs Neue: »Wenn Euch auch der Gnadenschatz der Kirche mit Unbehagen erfüllt und Ihr den Wert gar anzweifelt, so möchte ich Euch jetzt mit einem Mann bekannt machen, der seit Jahren nun schon Kirchen und Klöster mit wahren Schätzen beschenkt. Unser hochverehrter Bildschnitzer Tilman Riemenschneider.«
Der Mönch neigte den Kopf, der Meister grüßte zurück. Die Blicke begegneten sich.
Einen Moment lang überlegte Til, welchen seiner Figuren er diese Augen geben würde, dieses Brennen. Meinem Philippus sicher nicht, auch nicht Judas Thaddäus. Und Johannes dem Täufer? Nun, dem vielleicht …
»Meister Riemenschneider. Ich bin ein Verehrer der Kunst.« Die Lippen spannten sich zu einem Lächeln, die helle Stimme aber schnitt die Luft über der Tafel. »Darf ich fragen, mit welcher Art von Schätzen Ihr das Schiff der Kirche beladet?«
Til spürte einen warnenden Druck in der Brust, wusste die Gefahr aber nicht zu deuten. »In meiner Werkstatt arbeiten wir mit Stein und Holz. Zur Anbetung und Verehrung fertigen wir Flügelaltäre, Heilige und Marienfiguren …«
»Unser Meister Til ist zu bescheiden«, unterbrach
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