Riemenschneider
und mehr anwachsen. Vorn beim Pfarrer stand Meister Tilman Riemenschneider, die Lippen fest geschlossen, den Blick starr auf den blumengeschmückten Sarg gerichtet; neben ihm falteten die Töchter Gertrud und Katharina die Hände; die Söhne Jörg, Hans und Barthel schlossen sich an, dahinter die vier Geschwister seiner zweiten Frau Anna, und schon im gestandenen Mannesalter die drei Söhne, die seine erste Frau Anna mit in die Ehe gebracht hatte.
Heilige Mutter, zum ersten Mal sehe ich sie alle beieinander, dachte Magdalena. Unser Wolfmannsziechlein war früher ein regelrechter Kinderstall.
Die Erste Magd des Bildschnitzers stand auf der anderen Seite der Grube, sie hatte ihr schwarzes Schultertuch übers Haar gelegt und eng um den Hals geschlungen. Links von ihr stand Rupert mit allen Gesellen des Meisters, und rechter Hand drängten sich die Mägde und Köchinnen.
Zähle ich jetzt noch all die Ehefrauen und Männer dazu, rechnete Magdalena weiter, dann sind wir so viele, wir könnten beinahe unser eigenes kleines Dorf bevölkern. Und er und ich, wir wären die Alten, nein, noch nicht so richtig alt, aber wir könnten Rat und Hilfe geben …
»Ego sum resurrectio et vita …« Die getragene Stimme des Pfarrers entriss Magdalena das Bild. Schuldbewusst blickte sie aus den Augenwinkeln auf Rupert neben ihr, und gleich verflog auch der letzte Farbschimmer des Traums.
» … qui credit in me, etiam si mortuus fuerit, vivet …«
Schäm dich, ermahnte sie sich, Rupert gehört zu dir, und er ist ein treuer Mann, hat ein gutes Herz. » … et omnis, qui vivit et credit in me, non morietur in aeternum.«
Wo bleibt Florian? Er sollte doch vor dem Leichhof warten und dann an unserer Seite mitgehen? Magdalena trat einen Schritt zurück, verdeckt von Ruperts Schultern wandte sie den Kopf.
Ganz außen, noch hinter den Almosenempfängern, entdeckte die Mutter den dunklen Lockenkopf. Warum kommt er nicht nach vorn? Der zweite Blick versetzte ihr einen Stich. Bermeter, dieser Versucher. Und eine Hand hat er auf der Schulter des Jungen. »Nimm deine Finger da weg«, drohte sie stumm. »Florian gehört nicht dir.«
Längst wusste Magdalena, wie machtlos sie war. Nur wenn der Prinz Lust verspürte, arbeitete er mit Rupert im Weinberg, und da Florian im Wolfmannsziechlein nicht gern gelitten war, trieb er sich die meiste Zeit in der Stadt herum und wurde häufig an der Seite des Spielmanns gesehen. Stellte die Mutter ihn zur Rede, lachte er, nahm sie in den Arm und versicherte: »Sorg dich nicht! Ich geh schon nicht unter.«
Magdalena sah noch einmal zu dem Paar hinüber. »Untergegangen bist du schon, mein Junge. Ich flehe nur zur Heiligen Jungfrau, dass du nicht ertrinkst.« Sie schloss wieder die Lücke zwischen Rupert und den Mägden.
Auf das »Herr, erbarme dich« des Priesters, bat sie im Chor der Trauergemeinde voller Inbrunst: »Christus, erbarme dich. Herr, erbarme dich!«
Drüben hob Meister Til den Kopf, seine Augen fanden die ihren, und einen langen Moment hielten die Blicke einander fest.
Du musst nicht trauern, versuchte sie ihn zu stärken, um dieses Weib ganz sicher nicht. Nun ja, vielleicht heute, aber nur für die Ratskollegen, für deine Freunde, den Stadtschreiber und den alten dicken Georg Suppan, die würden sich sonst wundern. Und für diese dürre Hexe Hedwig da seitlich bei den Klageweibern, sie beobachtet dich ohnehin mit ihren Fischaugen. Ja, zeig ihr nur deine Trauer, sonst zerreißt sie sich morgen ihr Klatschmaul.
»Pater noster …« Während der Priester das Vaterunser betete, segnete er den Sarg nochmals mit Weihwasser. Sein Singsang hob sich über die Trauergemeinde und führte Magdalena vom Friedhof zurück in die Franziskanergasse.
Am Montag war sie wie jeden Morgen Schlag sieben durchs Tor gegangen. Im Hof begegnete ihr der Meister. Kein freundlicher Gruß, übermüdet fuhr er sich mit beiden Händen durchs Haar. »Ich hatte schon befürchtet, die Nacht ginge nie zu Ende. Margarethe konnte nicht schlafen, und so musste auch ich wach bleiben.«
»Aber, Herr, Ihr habt die Ruhe nötig. Und dann, verzeiht, diese furchtbar schlechte Luft. Warum seid Ihr nicht ausgezogen? Ich habe Euch im Nähzimmer ein Bett gerichtet.«
»Danke für deine Sorge. Aber Margarethe litt unter heftigen Leibschmerzen, trotz des Pulvers. Da wollte ich sie nicht alleinlassen. Jetzt geht es ihr etwas besser. Seit einer Weile dämmert sie ruhig dahin.« Er dehnte die Schultern. »Ich werde kurz die Arbeiten verteilen, dann muss
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